Die Kolonialzeit

"Himmel und Erde stimmten nie glücklicher zusammen, um Menschen eine Wohnstatt zu schaffen."

John Smith, Gründer der Kolonie Virginia, 1607

Die Mayflower

Im siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts ergoss sich eine Flut von Auswanderern ein Jahrhundert lang von Europa nach Amerika. Es war eine der grossen Völkerwanderungen der Geschichte; sie war von gewaltigen, verschiedenartigen Kräften getrieben und rief eine Nation ins Leben, wo zuvor Wildnis gewesen war. Aus ihrem Wesen sollten sich Charakter und Schicksal eines noch unerforschten Kontinents formen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken zwei Grundkräften ihre gegenwärtige Gestalt: den Einwanderern aus Europa, ihrer Ideenwelt, ihren Gebräuchen und ihrem Volkscharakter - und den Bedingungen der Neuen Welt, unter deren Einfluss das europäische Kulturerbe sich wandelte. So war es eine innere Notwendigkeit, dass das koloniale Amerika zunächst europäisches Wesen widerspiegelte. Gruppen von Engländern, Franzosen, Deutschen, Schotten, Iren, Holländern, Schweden und manchen andern Nationalitäten folgten einander über den Ozean und versuchten, ihre Gewohnheiten und Traditionen in die Neue Welt zu verpflanzen. Aber die Macht der geographischen Verhältnisse in Amerika, der wechselseitige Einfluss der verschiedenen Volksgruppen, die Schwierigkeit allein, in der rauheren Neuen Welt die Lebensformen der Alten beizubehalten, erzwangen bedeutende Veränderungen. Sie vollzogen sich allmählich und zunächst kaum bemerkbar. Am Ende jedoch stand eine neue Gesellschaftsordnung, in mancher Weise europäisch beeinflusst, doch entschieden und charakteristisch anders: Amerika.

Als die ersten Auswandererschiffe Kurs nach dem Gebiet der Vereinigten Staaten nahmen, waren bereits gute hundert Jahre über den ersten Entdeckungsreisen nach Nordamerika im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert vergangen. (Die Spanier allein hatten die Zeit genutzt und in Mexiko, auf den Westindischen Inseln und in Südamerika blühende Kolonien gegründet.) Die Einwanderer nach dem Norden kamen in kleinen, erbärmlich überfüllten Schiffen. Die Reise konnte sechs Wochen, ja sogar ein Vierteljahr dauern; die Kost war mager, viele Schiffe gingen in Stürmen unter, mancher Passagier erkrankte unterwegs und starb, selten nur überstanden kleine Kinder die Überfahrt. Unwetter trieb die Schiffe bisweilen weit vom Kurs ab, Windstille dagegen konnte oft zu endlosen Verzögerungen führen.

Wenn dann die amerikanische Küste in Sicht kam, empfanden die verängstigten Passagiere unsagbare Erleichterung. „Die Luft, zwölf Seemeilen vor dem Lande", schwärmte ein Chronist, „duftete süss wie ein frisch erblühter Garten." Tatsächlich sahen die Ankömmlinge jedoch nur dichten Wald, Urwald, zweitausend Kilometer weit von Maine im Norden bis nach Georgia im Süden, Bäume der allerverschiedensten Sorten, eine wahre Schatzkammer. Hier gab es Brenn- und Bauholz in Fülle, Rohstoff für den Haus- und Schiffsbau, für Möbeltischlerei und Schiffseinrichtungen, für Pottasche und Farben.

„Himmel und Erde", schrieb John Smith, einer der Gründer Virginias, zum Lob dieser Kolonie, „stimmten nie glücklicher zusammen, um Menschen eine Wohnstatt zu schaffen", und William Penn, der Gründer Pennsylvanias, lobte die „linde und klare Luft und den heiteren Himmel" seiner Kolonie. Die Nahrung im Lande stand dem guten Klima nicht nach. Das Meer lieferte Austern und Krabben, Dorsche und Hummern in Hülle und Fülle, in den Wäldern konnte man Truthähne („fett und von unglaublichem Gewicht"), Wachteln, Eichhörnchen, Fasanen, Elche, Wildgänse und so viel Rotwild jagen, dass man manchenorts „das Wildbret als ein ermüdend' Gericht erachtete." Früchte, Nüsse und Beeren wuchsen überall wild, und man entdeckte, dass sich wichtige Nahrungsmittel wie Erbsen und Bohnen, Mais, auch Kürbisse, ohne Schwierigkeiten ziehen liessen. Die Siedler sahen bald, dass das Getreide herrlich wuchs und dass die eingeführten Obstbäume reiche Ernten gaben; Schaf, Ziege, Schwein und Rind waren fruchtbar in dem neuen Lande.

So hatte die Natur den neuen Erdteil mit guten Gaben überschüttet; da aber die Siedler eine Reihe wichtiger Gebrauchsgegenstände noch nicht selbst herstellen konnten, blieb der Handel mit Europa lebenswichtig. Dafür waren die unzähligen Buchten und natürlichen Häfen, die sich der Küste entlang fanden, wie geschaffen; nur Nord-Carolina und das südliche New Jersey besassen keine Häfen für den Überseeverkehr. Eine Reihe gewaltiger Ströme - der Kennebec in Maine, der Connecticut, der Hudson im heutigen Staate New York, der Susquehanna in Pennsylvania, der Potomac in Virginia, um nur einige zu nennen - verbanden die Küstenebene mit den Häfen und darüber hinaus mit Europa. In Tat und Wahrheit jedoch konnte nur einer der vielen grossen nordamerikanischen Ströme, der Sankt-Lorenz-Strom im französischen Kanada, als Wasserweg zur Erschliessung der Tiefe des Kontinents dienstbar gemacht werden. Das gewaltige Gebirgsmassiv der Appalachen erwies sich als weiteres Hindernis für diese Erschliessung, sodass die Wanderungsbewegung für lange Zeit auf die Küstenebenen beschränkt blieb. Nur Trapper und Händler mit leichtem Tross konnten tiefer in das Landesinnere vordringen; die Niederlassungen der Kolonisten blieben ein Jahrhundert hindurch auf die Nähe der Ostküste, die bald dichter bevölkert war, beschränkt.

Het Hudson dal
In New York's fertile Hudson River Valey, soil and climate favored diversified agriculture. On farms such as this one, grain crops, especially wheat, were abundant, and flour was one of the colony's important exports.

Die Ausbreitung der Bevölkerung folgte im allgemeinen den geographischen Leitlinien von Küste und Flüssen; Süden und Norden waren bald von einem Netz von Verkehrsadern durchzogen. Die Kolonien waren voneinander unabhängig und besassen je eigene „Fenster nach der See". Ihre unabhängige Entwicklung und die grossen Entfernungen machen es erklärlich, dass zunächst keine einheitliche, zentrale Regierungsgewalt aufkommen konnte. Dies wurde dadurch ausgeglichen, dass jede Kolonie zu einem vollständig unabhängigen Gemeinwesen heranwuchs und sich ein starkes Bewusstsein von Eigenart und Unabhängigkeit ergab, jener Zug zum Individualismus, der sich in der späteren Geschichte der Vereinigten Staaten im Begriff „states rights" (Reservatrechte der Länder gegenüber der Bundesregierung) erhalten hat. Bei allem Individualismus aber mussten die Siedler die Probleme von Industrie und Handel, von Schiffahrt und Währung gemeinsam lösen, denn diese Probleme waren nicht an Ländergrenzen gebunden. Eine bundesstaatliche Organisation bereitete sich vor; sie sollte die spätere Staatsform der von England befreiten Kolonien werden.

Die Kolonisation des 17. Jahrhunderts hat beträchtliche finanzielle Aufwendungen nötig gemacht; sie war sorgfältig geplant, die Pläne wurden vorsichtig in die Tat umgesetzt. Aber die Ansiedlung blieb doch ein grosses Wagnis. Die Siedler mussten fünftausend Kilometer weit über das Meer befördert werden, sie brauchten Haushaltsgut und Kleidung, Saatgut und Werkzeuge, Baugeräte, Vieh, Waffen und Munition. Da die englische Regierung, im Gegensatz zu anderen Ländern und anderen Epochen, die Auswanderung nicht unmittelbar unterstützte, mussten Gruppen von Privatleuten oder sogar Einzelpersonen die Initiative ergreifen. Die Kolonien Virginia und Massachusetts wurden von königlich privilegierten Handelskompanien gegründet, die privates Kapital für Reise, Ausstattung und Verpflegung der Kolonisten verwenden mussten. In der Kolonie New Haven - später zu Connecticut gehörig - hatten die wohlhabenden Auswanderer selbst für Überfahrt und Ausstattungskosten ihrer Familien und ihres Gesindes aufzukommen. Eine Reihe von Siedlungen - New Hampshire, Maine, Maryland, Nord-Carolina, Süd-Carolina, New Jersey und Pennsylvania - waren ursprünglich Mitgliedern des englischen Land- oder Hochadels übertragen worden, die der König mit den Gebieten der neuen Welt ganz so belieh, als ob es feudale Lehen im Mutterland gewesen wären. Auch sie finanzierten die Ansiedlung ihrer Pächter und Bediensteten aus eigener Tasche. Karl I. zum Beispiel übertrug Cecil Calvert (Lord Baltimore) das über 2,83 Millionen Hektar grosse Gebiet, aus dem später der Staat Maryland hervorgehen sollte. Nord- und Süd-Carolina und Pennsylvania verdanken Lehen Karls II. ihre Entstehung. Nach dem Buchstaben des Gesetzes galten Grundherren und privilegierte Gesellschaften als Pächter des Königs, in Tat und Wahrheit aber entrichteten sie nur symbolischen Landzins. Lord Baltimore zum Beispiel schickte dem König jedes Jahr die Spitzen von zwei Indianerpfeilen; William Penns Jahrestribut bestand in zwei Biberfellen.

Verschiedene Kolonien entstanden als Zweiggründungen älterer Siedlungen. Rhode Island und Connecticut zum Beispiel wurden durch Siedler aus Massachusetts, der Mutterkolonie ganz Neu-Englands, gegründet, Georgia von James Edward Oglethorpe und einigen andern menschenfreundlichen Engländern überwiegend aus humanitären Beweggründen ins Leben gerufen. Sie wollten englische Schuldgefangene aus der Haft befreien und zur Ansiedlung nach Amerika schicken und hofften wohl auch, dass die so entstehende Kolonie ein Bollwerk gegen die Spanier im Süden bilden würde. Die Kolonie Neu-Niederland endlich wurde 1624 von Holländern gegründet; sie ging vierzig Jahre später in britische Hände über und erhielt den Namen New York.

Eine Reihe von Gründen hatte die Auswanderer jener Epoche bewogen, ihre europäische Heimat zu verlassen. Vor allem wollten sie ihre wirtschaftliche Lage verbessern. Sehnsucht nach Religionsfreiheit, Flucht vor politischem Druck oder reine Abenteuerlust gesellten sich oft als bedeutsame Motive hinzu.

Zwischen 1620 und 1635 hatte England mit ungewöhnlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zahllose Menschen konnten keine Arbeit finden, selbst die geschicktesten Handwerker ernährten sich nur mit Mühe und Not; Missernten vertieften das allgemeine Elend. Die Schafzüchter begannen, den Bauern den Boden wegzunehmen, denn Englands Wollfabriken hatten neue Absatzmärkte gefunden, und die Weber brauchten Wolle. Ungefähr in die gleiche Periode fällt die Reformbewegung der Puritaner. Ihr Werk, aus den religiösen Wirren des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts herausgewachsen, hatte das Ziel, die Staatskirche stärker im protestantischen Sinne zu reorganisieren und insbesondere die Verantwortlichkeit der Kirche auf den Lebenswandel des Einzelnen auszudehnen. Solche reformatorischen Ideen drohten das Volk zu spalten, die Einheit der Staatskirche zu gefährden und dadurch die Autorität des Königs zu untergraben. Eine radikale Sekte, die Separatisten, hielt sogar jeden Versuch, die bestehende Kirche im Sinne ihrer Lehre umzuformen, für aussichtslos. So siedelte eine kleine Gemeinde von Separatisten - meist einfache Leute vom Lande - nach der holländischen Stadt Leyden über, wo sie ihre Religion nach ihren Wünschen ausüben konnten. Einige Jahre später wanderte ein Teil dieser Leydener Puritanergemeinde in die Neue Welt aus und gründete dort die „Pilger"-Kolonie New Plymouth (1620).

Engelse nederzettingen in 1700
The dotted section on this map indicates the extent of English colonization along the Atlantic Coast. Organized settlement had not yet spread very far in from the seaboard, and inland bounderies were not yet permanently established. As westward expansion progressed, these bounderies were to cause frequent disputes

Bald nach der Thronbesteigung Karls I. (1625) sahen sich die führenden Puritaner Englands dem Druck verstärkter Verfolgung ausgesetzt. Verschiedene Geistliche, denen das Predigen verboten worden war, scharten ihre Gemeinden um sich und folgten den „Pilgern" nach Amerika. (Reichtum und gesellschaftliches Ansehen unterschieden jedoch viele dieser späteren Auswanderer von der ersten Puritanergruppe.) Sie gründeten 1630 die Massachusetts-Bai-Kolonie; in den nächsten zehn Jahren folgte ein halbes Dutzend englischer Kolonien von ausgeprägt puritanischem Charakter. Die Puritaner waren jedoch nicht die einzigen Kolonisten, die aus religiösen Beweggründen die Heimat verlassen hatten. Unzufriedenheit mit dem Los der Quäker in England führte William Penn zur Gründung der Kolonie Pennsylvania; Cecil Calvert war bei der Gründung Marylands von der Sorge um das Schicksal englischer Katholiken geleitet. Viele der Kolonisten in Pennsylvania und Nord-Carolina, Mitglieder deutscher und irischer Sekten, begehrten ebenso sehr die grössere religiöse Freiheit Amerikas wie seine besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten.

Oft traten politische Auswanderungsmotive zu den religiösen. Die Willkürherrschaft Karls I. in England zum Beispiel verstärkte die Wanderungs-bewegung nach der Neuen Welt in den dreissiger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts. Rebellion und Sieg seiner Gegner unter Oliver Cromwell im folgenden Jahrzehnt hinwiederum bewogen viele königstreue Adlige - „Kavaliere" -, das Heil in Virginia zu suchen. Auch in Deutschland war der Einfluss landesfürstlicher Unterdrückungspolitik, besonders auf dem religiösen Gebiet, und die Wirkung der starken Zerstörungen, die die Kriege der Zeit mit sich gebracht hatten, bemerkbar: das späte siebzehnte und das achtzehnte Jahrhundert waren Zeiten verstärkter Auswanderung nach Amerika.

In vielen Fällen gelang es der Überredungskunst gewandter Agenten, Männer und Frauen, die an sich gar kein Verlangen nach einem neuen Leben in Amerika verspürten, zur Auswanderung zu bewegen. William Penns Methode, Nachrichten über die glänzenden Möglichkeiten zu verbreiten, die Neueinwanderer in Pennsylvania vorfinden würden, erinnert durchaus an moderne Reklametechniken. Schiffskapitäne gebrauchten alle Mittel, von den unwahrscheinlichsten Versprechungen bis zum offenen Menschenraub, um so viele Passagiere zusammenzubekommen, wie die Schiffe nur irgend transportieren konnten, denn hohe Prämien winkten für Arbeitskontrakte mit mittellosen Einwanderern. Richtern und Gefängnisbehörden wurde nahegelegt, Verurteilten Gelegenheit zur Auswanderung nach Amerika zu geben, statt sie ins Gefängnis zu stecken.

Verhältnismässig wenige von den zahllosen Kolonisten, die den Ozean überquerten, konnten die Überfahrt für sich und ihre Familien und die Kosten für den Aufbau einer neuen Existenz selbst bestreiten. Den allerersten Kolonisten hatten Siedlungsgesellschaften - beispielsweise die Virginia Company und die Massachusetts Bay Company - Überfahrt und Unterhalt ausgelegt. Dafür mussten sich die Siedler vertraglich verpflichten, im Dienst der betreffenden Gesellschaft zu arbeiten. Wer auf diese Weise nach Amerika gekommen war, stellte aber sehr bald fest, dass er besser in England geblieben wäre, denn in der Neuen Welt war er auch weiterhin Knecht oder Pächter, ganz zu schweigen von der Mühsal und den Gefahren des Lebens am Rande der Wildnis.

Da dieses System sich als Hindernis für eine erfolgreiche Kolonisation erwies, verfiel man auf ein neues Mittel, die Auswanderung nach Amerika zu fördern. Handelsgesellschaften, Grundbesitzer und einzelne unabhängige Familien schlossen mit dem künftigen Siedler einen übertragbaren Kontrakt, der ihn verpflichtete, als Gegenleistung für freie Fahrt und Lebensunterhalt eine bestimmte Zeit - meist vier bis sieben Jahre - im Dienst des Vertragspartners zu arbeiten. Nach Ablauf des Vertrages war er frei und erhielt eine Ablösungssumme, bisweilen sogar ein Grundstück, gewöhnlich etwa zwanzig Hektar gross. Schätzungsweise gut die Hälfte aller derer, die in die im Süden Neu-Englands gelegenen Staaten einwanderten, waren solche indentured servants - Kontraktbedienstete. Die meisten erfüllten ihre vertraglichen Verpflichtungen gewissenhaft, manche liefen ihren Brotherren bei der ersten sich bietenden Gelegenheit davon; doch auch sie fanden es nicht schwer, sich ein Stück Land zu sichern und eine Heimstatt in derselben Kolonie oder in einer Nachbarkolonie zu gründen.

Keiner der Familien, deren amerikanische Anfänge im Schatten solcher Untertänigkeit gelegen hatten, haftete später irgendein gesellschaftlicher oder sonstiger Makel an. Waren doch in jeder Kolonie einige der führenden Männer entweder selbst einmal indentured servants oder Kinder solcher Kontraktbediensteten gewesen. Und in einem Lande, das nichts so sehr benötigte wie Menschen, waren Kolonisten wie sie wertvolles Gut. In der Tat, Kolonien gediehen desto besser, und der Wohlstand aller interessierten Gruppen stieg desto höher, je mehr Siedler einwanderten. Denn Land und Rohstoffe gab es mehr als genug; der Fortschritt hing allein davon ab, wieviel Menschen zu ihrer Erschliessung zur Verfügung standen.

Weitaus die meisten der Siedler, die in den ersten fünfundsiebzig Jahren des siebzehnten Jahrhunderts nach Amerika gekommen waren, waren Engländer. Die Landschaften im Zentrum des Siedlungsgebiets waren mit Holländern, Schweden und Deutschen durchsetzt; in Süd-Carolina und in andern Gebieten gab es einige wenige französische Hugenotten, hier und da Spanier, Italiener und Portugiesen. Sie stellten jedoch zusammen höchstens zehn Prozent der Gesamtbevölkerung dar. Als nach 1680 eine erhebliche Anzahl von Kolonisten ans Deutschland, Irland, Schottland, Frankreich und der Schweiz in Amerika zu siedeln begannen, stellte England nicht mehr den grösseren Teil der Einwanderung nach Amerika. Tausende von Deutschen wollten sich den unaufhörlichen Kriegswirren Europas entziehen, unzählige Iren schottischen Ursprungs verliessen Nordirland, um der Armut zu entgehen, die Regierungsdruck und Pachtzins, den sie an fern von Grund und Boden lebende Grundherren zu zahlen hatten, aufzwangen. Auch aus Schottland und der Schweiz flüchteten die Menschen vor dem Gespenst der Armut. Die Einwanderer kamen schubweise, und doch, auf eine Reihe von Jahren verteilt, glich die Bewegung einem stetigen Strom. Im Jahre 1690 hatte die Bevölkerungszahl eine Viertelmillion erreicht. Von dieser Zeit an verdoppelte sich die Zahl alle fünfundzwanzig Jahre; 1775 betrug sie bereits über zweieinhalb Millionen.

Siedler nicht-englischen Ursprungs fügten sich meist in die Kultur der ursprünglichen Kolonisten ein. Nicht, dass sie alle, fern von England, zu „Auslandsengländern" geworden wären! Sie übernahmen englische Sprache, englisches Recht, englische Bräuche und Denkgewohnheiten, aber in jener Form, die ihnen die amerikanischen Verhältnisse aufgeprägt hatten: gerade diese Verschmelzung der späteren Einwanderer mit den frühen, meist englischen Kolonisten brachte weitere Veränderungen des ursprünglichen Kulturgutes hervor, die zu einer ganz einzigartigen, neuen Kultur hinführten: englische und kontinental-europäische Züge in einer gänzlich neuen Umwelt innig einander durchdringend.

Im allgemeinen waren die Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen in den verschiedenen Kolonien nicht so gross, dass ein Familien-vater, der mit seinem Haushalt zum Beispiel von Massachusetts nach Virginia oder von Süd-Carolina nach Pennsylvania übersiedelt wäre, ganz von neuem sich hätte einordnen müssen. Gewisse Unterschiede zwischen den Siedlungen und besonders zwischen bestimmten Siedlungsgruppen zeichneten sich jedoch deutlich ab. Insgesamt lassen sich drei einigermassen klar umrissene regionale Gruppen unterscheiden: Neu-England, die erste Gruppe, entwickelte, im Gegensatz zum vorwiegend landwirtschaftlichen Süden, hauptsächlich Handel und Industrie. Dafür war die geographische Lage bestimmend. Dünn und ärmlich lag Neu-Englands Ackerkrume über dem Moränengeröll der Eiszeit (nur einige Flusstäler waren besser), Ebenen gab es wenig, kurze Sommer und lange, harte Winter hinderten den Ackerbau. So mussten die Neuengländer sich nach zusätzlichen Einnahmequellen umsehen. Sie bändigten die Wasserkraft und bauten Mühlen, in denen Weizen und Mais gemahlen oder für den Export bestimmtes Bauholz gesägt werden konnte. An der reichgegliederten Küste entstanden ausgezeichnete Handelshäfen. Reiche Nutzholzbestände luden zum Schiffsbau ein, das Meer selbst wurde zur Quelle des Reichtums. Der Dorschfang allein begründete in kurzer Zeit dauernden Wohlstand, zum Beispiel in Massachusetts. In den Ortschaften und Städtchen Neu-Englands, die sich meist um die Häfen gruppierten, entwickelten sich bald städtische Lebensgewohnheiten. Allmenden und Gemeindewälder deckten den Bedarf der Siedler; oft erwarben sie ein kleines Stück Ackerland in der Nähe ihrer Ortschaften, um Einkünften aus Handel und Gewerbe nachzuhelfen. Die geschlossene Siedlungsform liess die Dorfschule und die städtisch-genossenschaftliche Selbstverwaltung (town meeting) entstehen, eine öffentliche Meinung kam auf; Institutionen dieser Art übten gemeinsam einen wesentlichen Einfluss auf die heranreifende neue Kultur aus. Die Gemeinsamkeit erduldeter Mühen und harter Arbeit am steinigen Boden, die Ähnlichkeit ihrer einfachen Gewerbe oder Geschäfte formten die Bewohner Neu-Englands bald zu einem deutlich von anderen verschiedenen Menschenschlag um.

In Tat und Wahrheit wurzelten ihre besonderen Eigenschaften in dem Charakter jener hundert-zwei kranken „Pilger" aus Leyden und Plymouth, die einst nach langer Reise in Kap Cod an Land gegangen waren. Eigentlich hätten sie, ihrem Vertrag mit der London (Virginia) Company entsprechend, in Virginia an Land gehen sollen. Ihr Schiff aber, das als „Mayflower" in die Geschichte eingegangen ist, lief die amerikanische Küste viel weiter nördlich an. Sie erkundeten die Gegend einige Wochen lang und beschlossen am Ende, nicht nach Virginia weiterzureisen, sondern zu bleiben, wo sie waren. Sie liessen sich im Hafen Plymouth nieder und hielten trotz der Schrecken des ersten strengen Winters durch.

Der harte Daseinskampf der Siedler in Plymouth schreckte andere Kolonisten nicht davon ab, Siedlungen in der Nachbarschaft zu gründen. Eine dieser Neugründungen, in der Bucht von Massachusetts kurz nach 1630 angelegt, sollte sogar einen besonders ausgezeichneten Platz in der Entwicklung Neu-Englands - ja des gesamten Landes - einnehmen. Die rechtliche Grundlage dieser Ansiedlung war durch ein Privileg geschaffen worden, das der König von England einer Gruppe von ungefähr fünfundzwanzig Mann verlieben hatte. Einige von ihnen waren mit einer Gruppe von Siedlern, die königliche Urkunde im Gepäck, nach Amerika gekommen. Sie waren zum Durchhalten entschlossen, obwohl sich Neu-England nicht gerade als Paradies erwies und obwohl einige der Kolonisten enttäuscht wieder nach Hause fuhren. Die Mehrheit blieb; sie machte sich daran, dem unwirtlichen Gebiet einen Lebensunterhalt abzuringen und eine Gesellschaft aufzubauen, in der unabhängige und willenskräftige Menschen wie sie sich wohlfühlen konnten. Innerhalb der ersten zehn Jahre trafen fünfundsechzig Prediger in der Kolonie ein, meist Gelehrte und ausgezeichnete Theologen, und aus ihrem tiefen Glauben erwuchs in Massachusetts ein theokratisches Gemeinwesen. Kirche und Staat durchdrangen einander derart, dass das Religiöse dem Weltlichen übergeordnet blieb und es beherrschte. Kirchliche Autoritäten besorgten die Regierungsgeschäfte; in den periodischen Bürgerversammlungen jedoch konnten die Siedler gemeinsame Fragen frei erörtern und so ein gewisses Mass von Erfahrung in der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten sammeln. Und obwohl die Kirche die städtische Entwicklung durchaus bestimmend beeinflusste, machte es schon allein das harte Grenzerleben erforderlich, dass die gesamte Bevölkerung sich in die Bürgerpflichten teilte und bei den Ratsversammlungen anwesend war. Trotzdem versuchten Geistlichkeit und konservative Laien, die Siedlungen zu Gehorsam und Einheitlichkeit zu zwingen.

Allerdings gelang es ihnen nicht, den Geist aller Bürger in Fesseln zu schlagen oder die Eingebungen religiöser Eiferer zum Schweigen zu bringen. Solch ein Eiferer war der untadelige Geistliche und glänzende Jurist Roger Williams, der es für unrecht erklärte, den Indianern Land wegzunehmen, und sich gegen die Einheit von Kirche und Staat wandte. Er wurde wegen Verbreitung solch „neuer und die Autorität der Behörden gefährdender Ansichten" durch Urteil des Allgemeinen Gerichts aus NeuEngland verbannt, fand bei seinen Freunden, den Indianern, auf Rhode Island Zuflucht und gründete dort binnen kurzem eine Kolonie, in der Glaubensfreiheit und „ewige" Trennung von Kirche und Staat herrschen sollten.

Nicht nur „Ketzer", die nach Gewissensfreiheit verlangten, verliessen Massachusetts. Der Wunsch nach besserem Ackerboden und günstigeren Bedingungen trieb selbst orthodoxe Puritaner weiter. Nachrichten über die grosse Fruchtbarkeit des Connecticut-Flusstals zum Beispiel zogen schon frühzeitig Farmer an, die auf schlechtem Ackerboden gesiedelt hatten und für ebenes und fruchtbares Land bereit waren, selbst den Indianern zu trotzen. Als sich diese Gruppen eine Regierung gaben, erweiterten sie bezeichnenderweise das Wahlrecht und machten es von der Zugehörigkeit zur Kirche unabhängig. Zur gleichen Zeit wanderten kleine Gruppen von Siedlern von Massachusetts aus nach Norden, und bald waren New Hampshire und Maine von Männern und Frauen kolonisiert, die es frei und auf eigener Scholle zu leben verlangte.

Auf diese Weise griff der unmittelbare Einfluss der Kolonie Massachusetts-Bai über die ursprünglichen Grenzen hinaus; in der Kolonie selbst gediehen Handel und Wandel in stürmischem Wachstum. Nach 1650 kehrte Wohlstand ein; bald war Boston einer der grössten Häfen Amerikas. Aus den nordöstlichen Wäldern kam Eichenholz für Schiffskörper, Fichtenholz für Sparren und Masten und Pech für die Fugen. Die Schiffe Massachusetts, von den Reedern selbst gebaut, segelten frachtbeladen die Häfen der Welt an und legten so die Grundlage für einen Handelsverkehr, der ständig an Bedeutung zunehmen sollte. Gegen Ende der Kolonialperiode stammte ein Drittel aller unter britischer Flagge segelnden Schiffe aus amerikanischen Werften. Schiffsbedarf, Holzgeräte und Nahrungsmittel waren die Hauptausfuhrartikel. Die Handelsherren Neu-Englands entdeckten aber auch bald, dass Rum und Sklaven einträgliche Frachten einbrachten.

In den Kolonien, die sich als zweite grosse Gruppe im zentralen Siedlungsgebiet zusammenfassen lassen, war die Gesellschaft weniger einheitlich, aber kosmopolitischer und duldsamer als in Neu-England. Pennsylvania und seine Tochterkolonie Delaware hatten ihren frühen Erfolg William Penn zu verdanken, einem ausserordentlich praktisch denkenden Quäker, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, Kolonisten verschiedenster Herkunft und Glaubensrichtung in das ihm von Karl II. überantwortete riesige Gebiet zu ziehen. Fest entschlossen, seine Kolonie zu einem Muster anständiger und ehrlicher Beziehungen zwischen Siedlern und Indianern zu machen, traf Penn Abkommen mit den Eingeborenen, die, gewissenhaft eingehalten, Frieden in die Wildnis brachten. Die Kolonie wuchs zusehends; innere Spannungen blieben aus, und schon ein Jahr nach Penns Landung kamen dreitausend neue Bürger nach Pennsylvania. Das Herz der Kolonie war Philadelphia, bald weithin wegen seiner breiten, baumbeschatteten Strassen, seiner festen Ziegel- und Steinbauten und seines geschäftigen Hafentreibens berühmt. Zu Ende der Kolonialzeit lebten dort dreissigtausend Menschen, ein wahres Babel von Sprachen, Bekenntnissen und Gewerben. Die Quäker mit ihrem ernsten, bedächtigen Wesen, ihrer Menschenfreundlichkeit und Geschäftstüchtigkeit hatten die Stadt bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur aufstrebenden Metropole Kolonialamerikas gemacht.

In Philadelphia herrschten die englischen Quäker vor; in den übrigen Teilen Pennsylvanias waren auch andere Volksgruppen gut vertreten. Deutsche waren in grosser Zahl aus ihrer kriegsverwüsteten Heimat gekommen, um in der Neuen Welt ihr Brot zu verdienen, und waren bald zu den tüchtigsten Farmern des ganzen Gebietes aufgerückt. Ebenso bedeutsam war es für die Entwicklung der Kolonie, dass die Deutschen handwerkliche Kenntnisse in der häuslichen Herstellung von Schuhen, Geweben, Möbeln und anderem besassen. Auch für die grosse schottisch-irische Einwanderung wurde Pennsylvania zum Haupteingangstor. Das waren handfeste Grenzer, die sich Land nahmen, wo es ihnen gefiel, und ihre Rechte mit der Flinte - und mit endlosen Bibelsprüchen - verteidigten. In ihrer Zügellosigkeit waren sie oft ein rechtes Kreuz für die frommen Quäker, aber gerade ihre Fehler machten sie zu einer Kraftquelle von unschätzbarem Wert. Sie glaubten an wahre Volksvertretung, Religion und Bildung und formten eine Vorhut der Zivilisation im Kampf gegen die weiter und weiter zurückweichende Wildnis.

So war bereits die Bevölkerung Pennsylvanias recht vielgestaltig; New York aber zeigte schon um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts jene Vielsprachigkeit, die später zum Wesen weiter Teile Amerikas werden sollte. Um das Jahr 1646 konnte man über ein Dutzend Sprachen am Ufer des Hudson hören. Die Bevölkerung setzte sich aus Holländern, Flamen, Wallonen, Franzosen, Dänen, Norwegern, Schweden, Engländern, Schotten, Iren, Deutschen, Polen, Böhmen, Portugiesen und Italienern zusammen -Vorläufern von Millionen von Landsleuten späterer Jahrhunderte. Die meisten von ihnen lebten vom Handel und gründeten eine kaufmännische Erwerbskultur, die bereits viele Merkmale folgender Generationen vorwegnahm.

Neu-Niederland, das spätere New York, gehörte vierzig Jahre hindurch den Niederländern. Die Holländer aber waren im Grunde kein Wandervolk. Daheim in Holland gab es Land im Überfluss, und die politischen und religiösen Vorteile des Lebens in den Kolonien genossen sie in gleicher Weise zu Hause. Ausserdem fehlte es der Niederländisch-Westindischen Kompanie, die sich mit der Kolonisierung in Amerika befasste, an fähigen Beamten zu einer geregelten Verwaltung der Kolonien. Als im Jahre 1664 das Interesse Englands an Kolonisation wiederauflebte, verloren die Holländer ihre Besitzung an britische Eroberer. Ihr Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft New Yorks blieb jedoch weit über jene Jahre hinaus bedeutsam. Ihre Kaufleute gaben der Stadt das charakteristische Gepräge eines Handelsplatzes, und die spitzen Giebel und in hohen Stufen aufsteigenden Giebelfelder ihrer Häuser gehören für immer zum Landschaftsbild. Die Gewohnheiten, die die Holländer als ihr Vermächtnis hinterlassen hatten, machten die Kolonie New York für die Freuden des täglichen Lebens anders, tiefer empfänglich als das sittenstrenge, puritanische Boston. New York wusste die Feiertage mit Festtagsschmaus und Ausgelassenheit zu feiern, und zahlreiche holländische Bräuche - zum Beispiel die Sitte, in der Neujahrsnacht den Nachbarn zu besuchen und mit ihm anzustossen, oder die Verbindung der Weihnachtszeit mit dem guten St. Nikolaus - haben sich über das ganze Land verbreitet und bis zum heutigen Tage erhalten.

Nachdem die Kolonie den Besitzer gewechselt hatte, unternahm es ein englischer Verwaltungsbeamter, das Rechtswesen New Yorks englischen Traditionen anzupassen. Er ging dabei schrittweise und mit so viel Klugheit und Takt zu Werke, dass er bei Holländern und Engländern sich gleicher Beliebtheit und Achtung erfreute. Da die Gemeindeverwaltungen der Kolonie nach den Grundsätzen örtlicher Unabhängigkeit, wie sie in Neu-England herrschten, aufgebaut waren, war schon nach wenigen Jahren, was an holländischen Rechtsgepflogenheiten und Gebräuchen noch übrig war, mit englischen Praktiken und Verfahren zu einer einigermassen brauchbaren Einheit verschmolzen.

Um 1696 lebten etwa dreissigtausend Menschen im Gebiete von New York. In den reichen Tälern des Hudson, des Mohawk und anderer Flüsse herrschte Grossgrundbesitz vor; auch Pächter und kleine Freisassen trugen zur landwirtschaftlichen Entwicklung dieses Gebietes bei. Fast das ganze Jahr hindurch boten Wiesen und Wälder Nahrung für Grossvieh, Schafe, Pferde und Schweine; Tabak und Flachs wuchsen ohne viel Pflege, und Obst - namentlich Äpfel - gab es im Überfluss. Neben diesen wertvollen landwirtschaftlichen Erzeugnissen trug der Pelzhandel wesentlich zur günstigen Entwicklung der Städte New York und Albany bei. Konnte man doch von Albany Pelze und Farmprodukte des Nordens bequem auf dem Hudson nach dem betriebsamen Umschlaghafen New York verschiffen.

Im Gegensatz zu Neu-England und dem zentralen Gebiet stand der ausgesprochen ländliche Charakter der südlicheren Kolonien Virginia, Maryland, Nord-Carolina, Süd-Carolina und Georgia. Die erste dauernde Niederlassung in der Neuen Welt war Jamestown in Virginia. Ende Dezember 1606 hatte sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von etwa hundert Leuten mit Unterstützung einer Londoner Siedlungsgesellschaft auf den Weg ins grosse Abenteuer gemacht. Sie hatten von Gold und Edelsteinen und mühelos erworbenem Reichtum geträumt und fanden doch nun in der Wildnis die neue Heimat, die sie gar nicht gesucht hatten. Aus ihrer Mitte ging Kapitän John Smith als geistiger Führer hervor, Schritt für Schritt sich durchsetzend und mit eisernem Willen die kleine Kolonie in den ersten Jahren zusammenhaltend - trotz Streit und Hunger und ständiger Bedrohung durch die Indianer. Zu Beginn verlangte die Siedlungsgesellschaft in Erwartung eines schnellen Gewinns, dass die Siedler sich in erster Linie auf den Export von Schiffsbedarf, Bauholz, Wurzelfasern und anderen Erzeugnissen für den Londoner Markt verlegten. Sie erlaubte ihnen nicht, das Land zu bestellen und für die Deckung ihres eigenen Bedarfs Sorge zu tragen. Nach den ersten Notjahren schraubte die Siedlungsgesellschaft jedoch ihre Forderungen herunter, verteilte Land an die Kolonisten und gestattete ihnen, die Hauptkraft für ihre eigenen Unternehmungen zu verwenden. Zum Glück brachte dann das Jahr 1612 einen Wendepunkt für die Wirtschaft Virginias und des gesamten angrenzenden Gebiets: eine Methode wurde entdeckt, durch die Virginia-Tabak dem europäischen Geschmack annehmbar gemacht werden konnte. Die erste Sendung der neuen Sorte traf im Jahre 1614 in London ein, und bevor zehn Jahre vorüber waren, hatte sich der Tabakexport zu einer weiteren bedeutenden und zuverlässigen Einnahmequelle entwickelt.

Für Tabakpflanzungen benötigte man frischen, fruchtbaren Boden, denn wo Tabak drei, vier Jahre hintereinander angebaut worden war, wurde der Boden unfruchtbar und brachte nur noch dünne Stengel hervor. Auf der Suche nach neuen Anbauflächen in günstiger Verkehrslage hielten sich die Pflanzer an die zahlreichen Wasserläufe, die bald flussauf, flussab von Tabakfeldern gesäumt waren. Geschlossene Ortschaften entstanden in diesem Gebiet nicht, selbst Jamestown, die Hauptstadt Virginias, bestand nur aus wenigen Häusern. Rasch richteten sich die Pflanzer auf den Fernhandel ein, und London, Bristol und andere englische Häfen wurden ihre Absatzmärkte.

Die meisten Einwanderer nach Virginia kamen der wirtschaftlichen Vorteile halber. Wirtschaftliche, doch auch religiöse Motive führten Siedler nach Maryland, der Nachbarkolonie, wo sich John Calvert und seine Familie bemühten, für katholische Auswanderer eine Zufluchtsstätte im neuen Land zu schaffen. Sie waren allerdings auch an Gewinnen aus Grossgrundbesitz interessiert. Aus diesem Grunde - und um Unannehmlichkeiten mit der britischen Regierung aus dem Wege zu gehen - ermutigten sie neben Katholiken auch Protestanten zur Ansiedlung. Die Calverts versuchten, Marylands Gesellschaft und Regierung traditionell-aristokratisch zu gestalten, um es wie Könige beherrschen zu können. Aber der Wille zur Unabhängigkeit, der sich in jeder menschlichen Gemeinschaft am Rande der Wildnis, wie immer sie im einzelnen aufgebaut sein mag, herausbilden muss, setzte sich gegen feudale Formen zur Wehr. Weder in Maryland noch in anderen Kolonien konnten die Behörden die Siedler von ihrem hartnäckigen Glauben an die persönliche Freiheit, die das englische Recht verbürgte, und an den im Naturrecht verankerten Anspruch auf Mitbeteiligung des Volkes an der Regierung durch eine gewählte Volksvertretung abbringen.

Maryland entwickelte sich ganz ähnlich wie Virginia. In beiden Kolonien überwog die Landwirtschaft, in beiden dominierte die Klasse der grossen, in Küstennähe sesshaften Pflanzer. Beide hatten ein Hinterland, dem ständig freie Kleinfarmer zuströmten; beide litten unter den Nachteilen der Monokultur, und noch vor 1750 war die Kultur beider Kolonien zutiefst durch Negersklaverei berührt. Hier wie dort nahmen die reichen Pflanzer ihre Verpflichtungen der Gemeinschaft gegenüber ernst und dienten als Friedensrichter, Oberste im Volksaufgebot und als Mitglieder der gesetzgebenden Versammlungen. Doch auch freie Kleinbauern sassen in den Volksversammlungen und bahnten sich den Weg in bedeutende Staatsstellungen. In furchtlos freier Rede und unabhängigen Geistes erinnerten sie die Pflanzer-Aristokratie dauernd daran, dass deren Macht eine Grenze in den Rechten freier Menschen finden würde.

Zu Ausgang des siebzehnten und zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts hatte das gesellschaftliche Gefüge in Maryland und Virginia bereits die Form angenommen, die es bis zum Sezessions-krieg behalten sollte. Die sklavenhaltenden Pflanzer besassen fast ausschliesslich die politische Macht und den besten Grund und Boden. Sie bauten Herrenhäuser, führten ein aristokratisches Leben und blieben in enger Verbindung mit europäischer Kultur. Auf der nächsten Sprosse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stufenleiter standen die Farmer, die sich im Konkurrenzkampf mit den sklavenhaltenden Pflanzern kaum behaupten konnten. Weder in Virginia noch in Maryland bildete sich eine handeltreibende Klasse von Gewicht heraus, denn die Pflanzer wickelten ihre Geschäfte mit England mit Hilfe englischer und schottischer Agenten ab.

Die beiden Carolina-Kolonien dagegen - mit Charleston als wichtigstem Hafen - wurden allmählich zu Handelszentren des Südens. Hier lernten die Siedler rasch, Landwirtschaft und Handel zu verbinden; die Kolonien verdankten einen grossen Teil ihres Wohlstandes ihren Märkten. Die dichten Wälder öffneten eine weitere Einnahmequelle, denn einheimischer Teer und Kiefernharz gehörten mit zum besten Werftbedarf der Welt. Nord-Carolina und Süd-Carolina waren nicht wie Virginia auf Monokultur beschränkt und exportierten neben Schiffsbedarf auch Reis und Indigo. Um 1750 lebten über hunderttausend Menschen in den beiden Kolonien.

Im Süden wie in den anderen Kolonialgebieten - vom hügeligen Vermont bis zu den unregelmässigen Urwaldlichtungen am Mohawk im heutigen Staate New York, von den östlichen Ausläufen der Alleghanies bis zum Shenandoahtal in Virginia - überall spielte der stetige Fortschritt des Hinterlandes, der frontier, eine entwickelnde Rolle. Menschen, die nach grösserer Gewissensfreiheit verlangten, als in den ursprünglichen Küstensiedlungen zu finden war, hatten bald darüber hinausgedrängt. Wer an der Küste kein fruchtbares Land erhalten hatte oder wessen Boden inzwischen ausgelaugt war, wandte sieh ebenfalls weiter nach Westen und liess sich im fruchtbaren Hügelland nieder. Bald entstand dort eine blühende Farm neben der anderen, von Männern bestellt, die wirtschaftlich und geistig von den älteren Siedlungsgebieten unabhängig waren. Doch nicht nur einfache Farmer waren vom Hinterland angezogen. Peter Jefferson, der Vater des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, ein unternehmender Feldmesser, liess sich ebenfalls in diesem Hügelgebiet nieder und erwarb 162 Hektar Land für eine Schale Punsch...

Hier und da war auch einmal ein Grossgrundbesitzer unter denen, die den Weg in das Hügelland fanden. Aber zumeist waren es doch kleine, unabhängige Farmer, die sich über die Grenzen der festbesiedelten Kolonien hinauswagten. Am Rande des Indianergebietes wurden ihre Blockhütten zu Festungen, und scharfe Augen und zuverlässige Flinten waren ihr bester Schutz. So musste ein handfester, selbstsicherer Menschenschlag heranwachsen, der Wege durch die Wildnis zu bahnen, das Unterholz niederzubrennen und zwischen den Baumstümpfen Mais und Weizen anzubauen lernte. Die Männer trugen Jagdhemden und lange wildlederne Gamaschen, die Frauen handgewebte Röcke. Sie nährten sich von hog and hominy (Schweinefleisch und Maisbrei), von gebratenem Wildbret, wilden Truthähnen, Rebhühnern und von Fischen, die sie in einem nahen Flusse fingen. Sie vergnügten sich auf ihre eigene, überschäumende Weise: sie veranstalteten Volksfeste im Freien, bei denen ganze Ochsen am Spiess gebraten wurden, sie feierten Einstand bei Neuvermählten, sie tanzten, tranken, schossen um die Wette, und die Frauen stickten in gemeinsamen Kränzchen.

Schon zeichneten sich Trennungslinien ab zwischen dem Alten und dem Neuen, dem Osten und dem Westen, den Siedlungsgebieten an der Atlantikküste und der Grenzregion im Inneren. Die Unterschiede waren zuzeiten gross und tiefgreifend. Dennoch beeinflussten die Gebiete einander erheblich, denn trotz räumlicher Trennung spielten die Kräfte zwischen Kolonie und Kolonie. Die Pioniere, die nach Westen vordrangen, brachten Gut der älteren Zivilisation mit und verpflanzten gemeinsam ererbte Traditionen auf den neuen Boden. Viele, die nach Westen ausgezogen waren, kehrten nach dem Osten zurück und erregten mit ihren Berichten die Phantasie der Zuhausgebliebenen. Männer aus dem Westen erhoben ihre Stimme in der politischen Debatte und bekämpften das träge Festhalten an althergebrachter Sitte. Noch wichtiger war, dass jeder, der aus einer altansässigen Kolonie kam, im Grenzland eine neue Heimstatt finden konnte. Das machte es der Obrigkeit in den älteren Niederlassungen so gut wie unmöglich, Fortschritt und Wechsel ernstlich zu behindern. So sahen sich die herrschenden Schichten der Küstengebiete unter dem Druck des Volkes immer wieder dazu gezwungen, das politische Leben und die Verteilung von Neuland freiheitlicher zu gestalten und freiere Religionsausübung zuzulassen, wollten sie nicht eine Massenauswanderung zur Grenzregion in Kauf nehmen. Für satte Selbstzufriedenheit hatte man wenig Verständnis in der kraftvolljugendlichen Gesellschaft eines aufstrebenden Landes: der Zug nach den Hügeln im Westen blieb für die künftige Geschichte ganz Amerikas von unerhörter Bedeutung.

Nicht minder wichtig für die Zukunft wurden die Grundlagen, die in der Kolonialperiode für das Schulwesen und das Geistesleben Amerikas gelegt wurden. Im Jahre 1636 wurde in Massachusetts das Harvard College gegründet. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts folgte das William and Mary College in Virginia, und ein paar Jahre später sorgte Connecticut durch Gesetz für die Gründung der Yale-Universität. Als erziehungsgeschichtlich bedeutsamste Erscheinung jedoch muss die Ausbildung eines öffentlichen Schulsystems in Amerika gewertet werden, wofür Neu-England besonders hohe Verdienste in Anspruch nehmen kann. Um alle Hilfsquellen der Gemeinschaft für Erziehung und Unterricht nutzbar zu machen, schlossen sich dort die Siedler zu einem genossenschaftlichen Verband zusammen und setzten zuerst 1647 in Massachusetts-Bai den gesetzlichen Grundschulzwang durch. Ähnliche Gesetze folgten in allen Neu-England-Kolonien mit Ausnahme von Rhode Island.

Im Süden lagen die Farmen und Pflanzungen so weit auseinander, dass öffentliche Schulen, wie sie die geschlosseneren Siedlungen besassen, nicht zu unterhalten waren. Manchmal taten sich die Pflanzer mit ihren nächsten Nachbarn zusammen und verpflichteten Privatlehrer, die alle Kinder im Umkreis unterrichten mussten. Oft wurden die Kinder auch nach England in die Schule geschickt. In den dichter besiedelten Gebieten gelang es gelegentlich, Schulen für die weitere Nachbarschaft zu organisieren, doch musste in der Regel jeder Pflanzer Kosten und Verantwortung für die Anstellung der Lehrer selbst übernehmen. In ärmeren Familien mussten eben die Eltern selbst ihre Kinder in den Grundlagen unterweisen.

In den Kolonien des zentralen Siedlungsgürtels gab es grosse Unterschiede zwischen Schule und Schule. New York zum Beispiel hatte sich so dem Drang nach Fortschritt im Materiellen verschrieben, dass für das Geistesleben wenig Aufmerksamkeit übrig blieb. So stand es an Kultur Neu-England und den anderen Kolonien der Mitte beträchtlich nach. Seine Schulen waren schlecht, die Reicheren mussten Erzieher für ihre Kinder ins Haus nehmen. Die Mehrheit der Kinder genoss überhaupt keinen angemessenen öffentlichen Schulunterricht. Die Regierung seiner Majestät, des englischen Königs, machte zwar gelegentlich Anstrengungen, öffentliche Lehranstalten einzurichten, aber erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wurden das New Jersey College in Princeton, King's College (die jetzige Columbia-Universität) und Queen's College (Rutgers) gegründet.

Pennsylvania dagegen war im Erziehungswesen unter allen Kolonien eine der tatkräftigsten. Seine erste Schule wurde 1683 eröffnet und hatte Lesen, Schreiben und kaufmännisches Rechnen im Lehrplan. Später sorgte jede Quäkergemeinde auf die eine oder andere Weise für Elementarunterricht. Fortgeschrittene konnten klassische Sprachen, Geschichte und Literatur in einer öffentlichen Quäkerschule studieren, die unter dem Namen William Penn Charter School heute noch in Philadelphia existiert. (Arme Kinder hatten den Unterricht frei, vermögende Eltern mussten Schulgeld bezahlen.) Philadelphia hatte auch viele an keine Religionsgemeinschaft gebundene Privat-schulen, in denen Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaft gelehrt wurden; für Erwachsene gab es Abendschulen. Auch die Mädchener-ziehung wurde nicht ganz ausser acht gelassen: Privatlehrer unterrichteten die Töchter wohlhabender Bürger Philadelphias in Französisch, Musik, Tanz, Malerei, Gesang und Grammatik, manchmal sogar in der Buchführung. Der geistige und kulturelle Vorsprung Pennsylvanias ist in hohem Masse dem Einfluss zweier bedeutender Persönlichkeiten zu verdanken. Der eine, James Logan, Sekretär der Kolonie, besass eine ausgesuchte Bücherei, in der der junge Benjamin Franklin die letzten wissenschaftlichen Werke seiner Zeit finden konnte. 1745 liess Logan für seine Sammlung eine Bibliothek erbauen und vermachte sie samt den Büchern der Stadt Philadelphia. Franklin selbst jedoch hat mehr als irgendein anderer Bürger der Stadt das geistige Leben Philadelphias angeregt. Er wirkte wesentlich an der Schöpfung von Einrichtungen mit, die über Philadelphia hinaus das kulturelle Leben aller Kolonien dauernd befruchten sollten. So rief er den „Junto"-Klub ins Leben, aus dem im Laufe der Zeit die Amerikanische Philosophische Gesellschaft hervorgehen sollte. Ähnlich war es seinen Bemühungen zu danken, dass eine öffentliche Akademie gegründet wurde, die sich später zur Universität von Pennsylvania entwickelte. Auch eine weithin wirkende Buchgemeinde, die er selbst „die Mutter aller nordamerikanischen Buchgemeinden" genannt hat, entstand als Frucht seiner Arbeit im Weinberg der Wissenschaft.

Wissensdurst hielt sich nicht an die Grenzen altansässiger Kolonien. Die zähen, abgehärteten schottischen Iren in den Randgebieten, mochten sie auch in primitiven Hütten hausen, wollten trotzdem nicht ganz in Unwissenheit versinken. In tiefem Glauben an den Wert der Bildung machten sie grosse Anstrengungen, studierte Geistliche in ihre Siedlungen zu ziehen. Auch Laien sollten ihre geistigen Fähigkeiten nach Möglichkeit entwickeln.

Im Süden fanden die Pflanzer meist nur über das Buch Zugang zur Welt der Kultur. Werke aus England über Geschichte, Natur- und Rechts-wissenschaft und viele andere Gebiete, auch griechische und römische Klassiker, wanderten von Pflanzer zu Pflanzer. In Charleston entstand im Jahre 1700 eine Landesbibliothek. Musik, Malerei und Theater fanden Liebhaber. Schauspieler hatten sogar eine besondere Zuneigung für Charleston, das sie wie keine andere Stadt in den Kolonien herzlich aufzunehmen gewohnt war.

Die ersten Einwanderer nach Neu-England brachten eigene kleine Bibliotheken mit und vergrösserten sie langsam durch dauernde Einfuhr von Büchern aus London. Die Puritaner hatten zwar einen fast unstillbaren Hunger nach religiösen Schriften, lasen aber auch weltliche Literatur. Schon um 1680 war der Buchhandel in Boston ein einträgliches Geschäft; klassische Literatur, Geschichtswerke, politische, philosophische, naturwissenschaftliche Bücher, theologische Schriften, Predigtsammlungen und schöne Literatur fanden steigenden Absatz.

Die Stadt Cambridge in Massachusetts konnte sich schon früh einer Druckerpresse rühmen; im Jahre 1704 erschien Bostons erste über die Anfänge hinaus erfolgreiche Zeitung. Weitere Zeitungen folgten in NeuEngland und anderswo. New York zum Beispiel wurde Zeuge eines der bedeutsamsten Ereignisse in der Geschichte der amerikanischen Presse, des Rechtsstreits um Peter Zenger, dessen Wochenschrift New York Weekly Journal vom Gründungsjahr 1733 an der Opposition als Sprachrohr gegen die Regierung gedient hatte. Zwei Jahre lang liess sich der Gouverneur der Kolonie Zengers spitze Ironie gefallen; dann liess er ihn wegen Verleumdung hinter spanische Gardinen setzen. Der Prozess dauerte neun Monate und wurde überall in den Kolonien mit grösster Aufmerksamkeit verfolgt. Zenger aber gab sein Blatt unverdrossen von seiner Zelle aus heraus. Sein Verteidiger, der bedeutende Anwalt Andrew Hamilton, versuchte nachzuweisen, dass Zenger die Wahrheit gedruckt habe und dass daher keine Verleumdung im eigentlichen Sinne vorläge. Das Geschworenengericht fand Zenger unschuldig und setzte ihn auf freien Fuss. Das Urteil hatte weitreichende Folgen für Kolonial-Amerika und für das Amerika der Zukunft, denn es wies in bedeutsamer Weise den Weg zum endlichen Sieg der Pressefreiheit.

Schriftstellerische Tätigkeit in den Kolonien war im wesentlichen auf NeuEngland beschränkt. Hier lag das Hauptgewicht auf religiösen Themen - es kamen mehr Predigten aus der Druckpresse als alle anderen Buchgattungen zusammengenommen. Cotton Mather, bekannt für seine Droh-predigten von Hölle und Schwefel, schrieb allein rund vierhundert Bücher; sein Meisterwerk Magnalia Christi Americana war so umfangreich, dass es in London gedruckt werden musste. Fleiss und Pedanterie gaben sich ein Stelldichein auf den zahlreichen Seiten dieses Wälzers, und die bunten Bilder der Geschichte Neu-Englands erscheinen durch ein tiefsitzendes Vorurteil entstellt. Die weiteste Verbreitung fand das Epos The Day of Doom - Der Jüngste Tag -, aus der Feder des ehrwürdigen Pfarrers Michael Wigglesworth, aus dem die Schwefelflammen des Jüngsten Gerichts dem Leser schreckerregend ins Gesicht fuhren...

Eine auffällige Seite in der Entwicklung der Kolonien war zu allen Zeiten der verhältnismässig schwache Einfluss, der von der englischen Regierung ausging. In den Jahren frühen Wachstums, da die Kolonien noch leicht beeinflussbar gewesen wären, war die Entwicklung allein vom Zusammenspiel von freiem Wunsch und Willen und harter Wirklichkeit örtlicher Umstände bestimmt gewesen. Die Regierung in England hatte unmittelbar keinen Anteil an der Gründung der Kolonien - nur Georgia bildete eine Ausnahme - und erst ganz allmählich schaltete sie sich lenkend in ihre Politik ein. Der König hatte zwar seine unmittelbaren Hoheitsrechte über die Siedlungen der Neuen Welt auf Aktiengesellschaften und Grundherren übertragen; das bedeutete natürlich nicht, dass die Kolonisten in Amerika herrschaftlichen Einflüssen von aussen ganz oder zum Teil entgingen. In den Freibriefen Virginias und Massachusetts-Bais zum Beispiel war die volle Regierungsgewalt den einzelnen Siedlungsgesellschaften mit Sitz in England übertragen worden. Die Bevölkerung Amerikas war also nicht mehr an der Regierung beteiligt, als wenn der König selbst absolut geherrscht hätte.

Trotzdem wurden auf die eine oder andere Weise Breschen in die ausschliessliche Herrschaft vom Mutterland aus geschlagen. Der erste Schritt in dieser Richtung war eine Entscheidung der London (Virginia) Company, die es den Virginia-Kolonisten gestattete, eigene Vertreter in die Regierung zu entsenden. Nach im Jahre 1619 ergangenen Anweisungen der Gesellschaft an den von ihr ernannten Gouverneur sollten die freien Bewohner der Pflanzungen Vertreter wählen, um im Verein mit dem Gouverneur und einem zu ernennenden „Rat" Verordnungen zum Wohle der Kolonie zu erlassen. Diese Anordnung war folgenschwer wie kaum ein anderes Ereignis in der Geschichte der Kolonien, denn von nun an stand das Recht der Kolonisten auf Beteiligung an ihrer eigenen Regierung allgemein fest. In den meisten Fällen legte fortan der englische König bei Landzuweisungen urkundlich fest, dass die freien Bürger einer Kolonie in ihrer eigenen Gesetzgebung mitreden sollten. So sahen die Freibriefe, die Cecil Calvert für Maryland, William Penn für Pennsylvania und den Eigentümern der beiden Carolina-Kolonien und New Jerseys ausgestellt worden waren, ausdrücklich vor, dass Gesetze der „Zustimmung der freien Bürger" bedurften. Nur in zwei Dokumenten fehlte die Selbstverwaltungsklausel, und zwar im Freibrief New Yorks, mit dem der Bruder Karls II., der Herzog von York (der spätere König Jakob II.), belieben worden war, und im Freibrief Georgias, das an eine Gruppe von "Treuhändern" vergeben worden war. Ihre Sonderstellung war jedoch von kurzer Dauer, denn in beiden Kolonien bestanden die Siedler so nachdrücklich darauf, in der Gesetzgebung vertreten zu sein, dass die Behörden es bald für klug hielten, nachzugeben.

Zunächst allerdings war das Recht der Kolonisten auf Vertretung in der Gesetzgebung von begrenzter Bedeutung; am Ende jedoch erwies es sich als Sprungbrett zu fast unumschränkter Herrschaft der Siedler. Es gelang den Versammlungen ihrer gewählten Vertreter, ein Höchstmass an Kontrolle über die Finanzen an sich zu reissen und politisch auszunutzen. In einer Kolonie nach der anderen galt binnen kurzem der Grundsatz, dass ohne Zustimmung der gewählten Vertreter des Volkes weder Steuern erhoben noch Einkünfte aus Steuern ausgegeben werden durften, selbst nicht für die Gehälter des Gouverneurs und anderer von oben herab ernannter Beamter. So konnten Gouverneure und andere Kolonialbeamte, die nicht im Einklang mit der Volksversammlung zu handeln bereit waren, durch Verweigerung von Mitteln für lebenswichtige Regierungsfunktionen zum Nachgeben gezwungen werden. Es konnte geschehen, dass eigenwilligen Gouverneuren überhaupt kein Gehalt oder etwa nur ein Penny bewilligt wurde. Solche Drohungen lehrten die Herren rasch, sich dem Volkswillen zu fügen.

In keiner Kolonie bestand Jahre hindurch grössere Selbstverwaltung als in denen Neu-Englands. Wenn die puritanischen „Pilger" sich in Virginia niedergelassen hätten, wären sie unter die Botmässigkeit der London (Virginia) Company gekommen. In ihrer eigenen Kolonie New Plymouth jedoch waren sie keiner fremden Regierungsgewalt untertan und schufen sich so eine eigene politische Organisation. Schon an Bord der „Mayflower" hatten sie als Grundsatz ihres künftigen Staates den „Mayflower-Vertrag" geschlossen, in dem sie es unternahmen, sich „zwecks besserer Ordnung und zur Selbsterhaltung in einer bürgerlich-staatlichen Genossenschaft (civil body politic) zusammenzuschliessen ... und auf solcher Grundlage gerechte und gleiche Gesetze, Verordnungen, Verfügungen, Verfassungsbestimmungen und Ämter zu schaffen, zu formen und in Kraft zu setzen . . . wie sie für das gemeine Wohl der Kolonie am meisten angemessen und geeignet erachtet werden würden." ... Obwohl die „Pilger" so ohne eigentlichen Rechtstitel aus eigener Kraft und Verantwortung ein System der Selbstverwaltung einführten, wurde ihr Werk nicht angefochten; die Siedler von Plymouth vermochten kraft des „Mayflower-Vertrages" viele Jahre hindurch ohne Einmischung oder Lenkung von aussen ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen.

In Massachusetts, wo die Regierungsgewalt der Massachusetts Bay Company übertragen worden war, entwickelten sich ähnliche Verhältnisse. Die Gesellschaft verlegte ihren Sitz nach Amerika und nahm den Freibrief mit, sodass die volle Amtsgewalt in den Händen von Männern lag, die in der Kolonie selbst ansässig waren. Anfangs versuchten die Gründungsmitglieder der Gesellschaft, die ungefähr zwölf an Zahl nach Amerika gekommen waren, selbstherrlich zu regieren. Bald aber verlangten die andern Kolonisten das Recht, die gemeinsamen Angelegenheiten mitzubestimmen, und drohten mit Massenauswanderung in andere Gebiete, falls ihren Forderungen nicht entsprochen würde. Die Mitglieder der Gesellschaft wichen dieser Drohung; die Regierungsgewalt ging auf gewählte Vertreter über. New Haven, Rhode Island und Connecticut, späteren Neu-England-Gründungen, glückte es ebenfalls, zur Selbstverwaltung zu kommen. Sie behaupteten kühn, keiner Regierungsgewalt zu unterstehen, und ordneten ihren Staat nach dem Vorbild der „Pilger" von New Plymouth.

Eine so weitgehende Selbstverwaltung musste den Widerstand der britischen Behörden herausfordern. Der Freibrief Massachusetts' wurde gerichtlich angefochten und 1684 für nichtig erklärt. Danach kamen auch die übrigen Kolonien Neu-Englands unter die Gewalt der Krone; von oben herab eingesetzte Gouverneure erhielten uneingeschränkte Regierungsvollmachten. Die Kolonisten stemmten sich nachdrücklich gegen diesen Wechsel zum Schlechteren und vertrieben ihre Gouverneure, als die Revolution von 1688 und der Sturz Jakobs II. die erwünschte Gelegenheit brachten. Rhode Island und Connecticut, das jetzt auch New Haven einschloss, gewannen die ursprüngliche Unabhängigkeit für alle Zukunft zurück. Massachusetts hingegen wurde bald wieder der königlichen Oberhoheit unterworfen, doch waren die Siedler jetzt an der Regierung beteiligt. Diese „Beteiligung" konnte nach dem Vorbild anderer Kolonien allmählich zur Selbstverwaltung erweitert werden; wieder konnte die Gewalt über die Finanzen als wichtigster Hebel dazu angesetzt werden. Die Gouverneure aber wurden immer wieder angewiesen, die Kolonisten mit Gewalt unter eine den englischen Gesamtinteressen dienende Politik zu beugen. Gleichzeitig nahm der englische Geheime Kronrat (Privy Council) das Revisionsrecht über die Gesetzgebung der Kolonien in Anspruch. Die Kolonisten bewiesen jedoch immer, wenn grundlegende Interessen auf dem Spiele standen, grosses Geschick in der Umgehung dieser einschränkenden Instanzen.

Wo es ihnen vorteilhaft erschien, machten es die Kolonisten auch fast immer möglich, sich der britischen Vormundschaft über ihre Beziehungen zum Ausland zu entziehen. Von 1651 an erliess die englische Regierung in Abständen Gesetze zur Ordnung gewisser Probleme des allgemeinen Wirtschafts- und Handelslebens in den Kolonien. Einige Gesetze nützten Amerika, die Mehrzahl aber diente dem Vorteil Englands zum Schaden der amerikanischen Kolonien. Die besonders nachteiligen Bestimmungen wurden in der Regel von den Kolonisten ignoriert. Gelegentlich ermannte sich die britische Regierung und versuchte, ihren Gesetzen Achtung zu verschaffen; doch die Versuche waren nicht von Dauer ; die britische Politik kehrte zum Glück der Kolonisten bald wieder zum alten Schlendrian zurück. Das weitreichende Ausmass politischer Selbständigkeit der Kolonien förderte eine natürliche Tendenz, sich von England fortzuentwickeln und charakteristisch „Britisches" immer stärker durch „Amerikanisches" zu ersetzen. Diese Entwicklung gewann an Tiefe durch die gleichzeitige Verschmelzung mit anderen Volksgruppen und -kulturen. Die folgende lebendige Schilderung aus der Feder des scharfsinnigen französischen Agrariers J. Hector St. John Crevecoeur zeigt anschaulich, wie aus solcher Verschmelzung eine neue Nation hervorwuchs. „Worin besteht denn nun eigentlich diese neue Gattung Mensch, der Amerikaner?" fragt er 1782 in seinen „Briefen eines amerikanischen Farmers." „Er ist entweder Europäer oder Nachkomme eines Europäers; daher die einzigartige Mischung . . . wie sie in keinem andern Lande zu finden ist . . . Ich könnte euch eine Familie zeigen, in der der Grossvater Engländer, die Grossmutter Holländerin gewesen war, deren Sohn eine Französin zur Frau genommen hatte und deren vier Söhne nun wiederum Frauen von vier verschiedenen Nationalitäten geheiratet haben. Amerikaner ist, wer überkommene Gewohnheiten und Vorurteile hinter sich gelassen hat und neue annimmt mit der neuen Lebensform, der er sich ergeben hat, mit der neuen Regierung, der er gehorcht, und der neuen Stellung, die er einnimmt..."