Eine nationale Regierung entsteht

"Jeder Mensch und jede menschliche Gemeinschaft auf Erden hat das Recht, sich selbst zu regieren."

Thomas Jefferson, 1790

Die revolutionäre Loslösung von England hatte das amerikanische Volk zu einem selbständigen Mitglied der Völkerfamilie gemacht und es zu einer neuen sozialen Ordnung geführt, in der die Vorrechte der Geburt vor dem Prinzip der Gleichheit zurücktraten. Noch aber hatten die Amerikaner, in reichen Erinnerungen an gemeinsames Hoffen und gemeinsames Kämpfen vereint, zu beweisen, dass sie wirklich imstande waren, ihre neue Stellung zu behaupten und sich selbst zu regieren.

Der Erfolg der Revolution hatte die Möglichkeit gebracht, die politischen Ideale der Unabhängigkeitserklärung in der Gesetzgebung zu verwirklichen und gewissen Übelständen durch einzelstaatliche Verfassungen abzuhelfen. James Madison, der vierte Präsident der Vereinigten Staaten, schrieb in diesem Zusammenhang: „Nichts hat grössere Bewunderung erregt als die Art und Weise, wie in Amerika freie Regierungseinrichtungen geschaffen wurden; denn es war das erste Mal ..., dass freie Bürger über eine Regierungsform berieten und Männer aus ihrer Mitte wählten, denen sie zutrauten, eine Verfassung zu beschliessen und in Kraft zu setzen."

Der moderne Amerikaner ist so gewöhnt, im Schutze geschriebener Verfassungen zu leben, dass er solche Verfassungen überall als etwas Selbstverständliches ansieht. In Wahrheit aber wurde die Form der geschriebenen Verfassung in Amerika entwickelt; die amerikanische Verfassung ist eine der ersten der Geschichte. „Die Verfassungen aller freien Einzelstaaten sind endgültig", schrieb John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten. Überall verlangten die Amerikaner danach, „unter einem bleibenden Gesetz zu leben." Bereits am 10. Mai 1776 hatte der Kongress einen Beschluss gefasst, in dem die Kolonien aufgefordert wurden, Regierungen einzusetzen, „die am besten Glück und Sicherheit ihrer Wähler gewährleisten würden." Einige der Staaten hatten bereits Regierungen, als der Beschluss gefasst wurde, und ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung besassen nur drei Staaten noch keine Verfassung.

Die schriftliche Ausarbeitung dieser Verfassungsurkunden bot den Demokraten eine glänzende Gelegenheit, Misstände zu beseitigen und vernünftige Regierungen, wie sie sie erstrebt hatten, zu bilden. In den meisten der Verfassungen war denn auch der Einfluss demokratischer Ideen deutlich zu spüren; keine einzige jedoch brach entscheidend mit der Vergangenheit, aus der ein Grundstock kolonialer Erfahrung, englischer Praxis und französischer politischer Philosophie in die Gegenwart hinübergetragen wurde. Die Ausarbeitung der einzelstaatlichen Verfassungen brachte so die Revolution recht eigentlich zum Ausdruck wie zum Abschluss.

In erster Linie war es den Schöpfern der Verfassung natürlich darum zu tun, jene „unveräusserlichen Rechte" zu sichern, deren Verletzung sie veranlasst hatte, sich von England loszusagen. Deshalb begann jede Urkunde mit einer feierlichen Grundrechteerklärung. Die Verfassung Virginias, die den anderen Staaten als Vorbild diente, enthielt politische Grundsätze - Volkssouveränität, begrenzte Amtsdauer, freie Wahlen - und Grundfreiheiten - keine übertriebenen Kautionen bei Verhaftungen, humanes Strafrecht, Bürgerwehr anstatt der Berufsarmee, beschleunigtes Prozessverfahren nach Landesrecht, Geschworenengerichte, Pressefreiheit, Gewissensfreiheit, das Recht der Mehrheit, die Regierung umzubilden oder ihre Form zu ändern, sowie das Verbot nicht auf Namen lautender Haftbefehle. Andere Staaten fügten weiteres hinzu, so Rede- und Versammlungsfreiheit, das Petitionsrecht, das Recht, Waffen zu tragen, das Recht eines Verhafteten auf Prüfung der Rechtmässigkeit seiner Verhaftung durch einen Richter (writ of habeas corpus), die Unverletzlichkeit des Hausfriedens und Gleichheit in der Anwendung der Gesetze. Die Verfassungen aller Staaten bekannten sich ferner zu der Dreiteilung in Exekutive, Legislative und Justiz, die einander überwachen und auswiegen sollten.

Während so die dreizehn Gründerkolonien in Staaten umgewandelt wurden und sich in ihrer neugewonnenen Unabhängigkeit einrichteten, hatten sich neue Gemeinwesen in dem weiten Gebiet westlich der Küstensiedlungen entwickelt. Von den einzigartigen Jagdmöglichkeiten und der unerhörten Fruchtbarkeit der neuen Landstriche angelockt, waren die Pioniere über die Appalachen nach dem Westen gedrungen, und um 1775 bereits lebten Zehntausende von Siedlern auf weitverstreuten Aussenposten in den Flusstälern. Durch Gebirgsketten vom Osten getrennt, Hunderte von Kilometern von den Zentren des politischen Lebens entfernt, gaben sich die Kolonisten dieser westlichen Aussenposten eigene Regierungen, unter denen ihre Gemeinwesen aufblühten. Siedler aus allen Küstenstaaten strömten in die fruchtbaren Flusstäler und Laubwälder und über die ausgedehnten Prärien. Um 1790 hatte das Gebiet jenseits der Appalachen bereits über 120 000 Einwohner.

Mit dem Ende der Revolution waren den Vereinigten Staaten die alten ungelösten Probleme des „Empires" an der Westgrenze - verwickelte Land- und Indianerfragen, Pelzhandelsprobleme, die Schwierigkeiten der Besiedlung und Regierung der abhängigen Gebiete - in den Schoss gefallen. Vor dem Krieg hatten verschiedene Kolonien beträchtliche, oft einander widersprechende Forderungen auf Land jenseits der Appalachen erhoben. Dass einzelne Staaten diese reichen Gebiete erwerben sollten, schien denen, die keine Ansprüche geltend machen konnten, höchst ungerecht. Deshalb forderte Maryland als Wortführer der benachteiligten Gruppe in einem Antrag, dass das Gebiet im Westen als gemeinsamer Besitz betrachtet und vom Kongress in freie und unabhängige Selbstverwaltungseinheiten aufgeteilt würde. Obwohl dieser Vorschlag nicht mit Begeisterung aufgenommen worden war, fand sich im Jahre 1780 New York als erste Kolonie bereit, seine Ansprüche an die Vereinigten Staaten abzutreten. Die anderen Kolonien folgten bald seinem Beispiel, sodass bei Ausgang des Krieges der Kongress sich in der Verfügungsgewalt über alle Gebiete nördlich des Ohio River, ja sogar in aller Wahrscheinlichkeit westlich der Alleghanies sah. Dieser gemeinsame Besitz von Millionen von Morgen Land bewies klarer als alles andere die nationale Einigkeit und Selbständigkeit Amerikas in jenen unruhigen Jahren und verlieh dem Gedanken der nationalen Souveränität sinnfälligen Ausdruck. Trotz allem aber blieben Probleme, die dringend nach Lösungen verlangten.

Sie erfolgten im Rahmen der Articles of Confederation, eines Abkommens, das die Kolonien seit 1781 lose zusammengehalten hatte. Kraft dieser Artikel wurde den neuen Gebieten im Westen eine begrenzte Selbstregierung zugestanden und auf diese Weise der Abstand zwischen Wildnis und Staatlichkeit mit glücklichem Griff überbrückt. Dieses, in der Northwest Ordinance (Nordwest-Verordnung) von 1787 festgelegte Prinzip ist seitdem auf alle kontinentalen und fast alle Inselbesitzungen der Vereinigten Staaten angewandt worden. Die Verordnung von 1787 behandelte das Nordwest-Territorium zunächst als ein Gebiet unter der Herrschaft eines Gouverneurs und von Richtern, die vom Kongress zu bestellen waren. Sobald ein Territorium fünftausend männliche Einwohner in wahlberechtigtem Alter zählte, sollte es dazu ermächtigt sein, eine Zwei-Kammer-Legislative einzurichten und die Zweite Kammer direkt zu wählen, und sollte im Kongress durch einen nicht stimmberechtigten Delegierten vertreten sein. Das Nordwest-Territorium sollte in nicht mehr als fünf und in nicht weniger als drei Staaten aufgeteilt werden; jeder Bezirk, dessen Einwohnerzahl 60 000 erreichte, würde in jeder Hinsicht den Gründerstaaten gleichgestellt in die Union aufgenommen werden. Sechs „Artikel, zwischen den Gründerstaaten und Volk und Staat des Nordwest-Territoriums vereinbart", gewährleisteten bürgerliche Rechte und Freiheiten, förderten das Erziehungswesen und garantierten, „dass es in besagtem Territorium weder Sklaverei noch unfreiwillige Knechtschaft geben würde."

Dies war der Anfang einer neuen, auf dem Prinzip der Gleichheit beruhenden Kolonialpolitik. Die neue Politik räumte mit der traditionellen Lehre auf, dass Kolonien nur zum Nutzen des Mutterlandes bestünden, im übrigen politisch von ihm abhängig und gesellschaftlich minderwertig seien. An die Stelle dieser alten Auffassung trat die neue, dass Kolonien lediglich einen Teil der Nation darstellten und dass sie einen Anspruch auf Gleichberechtigung hätten - nicht als Gnade, sondern als Recht. Die vernünftigen Bestimmungen der Northwest Ordinance legten den bleibenden Grund zum Territorialsystem und zur Kolonialpolitik Amerikas; sie ermöglichten seine Ausdehnung zum Pazifik und eine reibungslose Entwicklung von dreizehn zu achtundvierzig Einzelstaaten.

Die Articles of Confederation genügten indes nicht, andere Probleme der Zeit zu lösen. Vor allem konnten sie nicht als Grundgesetz für eine wirklich gemeinsame Regierung der dreizehn Staaten dienen, die nach Einigung gestrebt hatten, seit ihre Delegierten 1774 zum ersten Mal zusammengekommen waren, um ihre Freiheiten gegen Englands Übergriffe zu verteidigen. Der Kampf mit England hatte dazu beigetragen, ihre Haltung zu ändern; nur zwanzig Jahre zuvor hatten die Volksvertretungen der Kolonien den Unionsplan von Albany abgelehnt und sich geweigert, auch nur den geringsten Teil ihrer Autonomie an irgendeine andere Körperschaft - und wäre sie von ihnen selbst gewählt - abzutreten. Die Revolution hatte sie vom Wert gegenseitiger Hilfe überzeugt, und die Furcht vor einem Verlust ihrer Befugnisse, zumindest in gewissen Bereichen, in hohem Masse zerstreut.

Die Articles of Confederation traten 1781 in Kraft. Trotz eines unverkennbaren Fortschritts gegenüber der vom Kontinentalen Kongress geschaffenen losen Verbindung der Staaten wies auch das neue Regierungssystem viele Schwächen auf. Als es zu Grenzstreitigkeiten kam, fällten die Gerichtshöfe einander widersprechende Urteile; Massachusetts, New York und Pennsylvania erliessen Zollbestimmungen, die kleinere Nachbarstaaten schädigten; Beschränkungen im Handel der Staaten untereinander führten zu weiterer Verbitterung. Gemüsehändler aus New Jersey zum Beispiel konnten ihre Ware nur über den Hudson schiffen und auf den New Yorker Märkten absetzen, wenn sie hohe Grenzübertritts- und Abfertigungsgebühren entrichteten.

Eine wahre Nationalregierung hätte die Macht haben müssen, die notwendigen Zölle festzusetzen und den Handel zu regulieren - aber sie hatte diese Macht nicht. Sie hätte das Recht haben müssen, Steuern für gemeinsame Aufgaben zu erheben - aber sie besass dieses Recht nicht. Sie allein hätte die Aussenpolitik leiten müssen - stattdessen hatten verschiedene Staaten auf eigene Faust Unterhandlungen mit ausländischen Mächten begonnen. Neun Staaten hatten eigene Armeen aufgestellt, einige besassen sogar kleine Kriegsflotten. Es herrschte ein Durcheinander von Münzsorten aus einem Dutzend ausländischer Staaten; eine verwirrende Vielfalt von Papiergeld kam aus den Druckpressen der Einzelstaaten und der Nationalregierung und verlor ständig an Wert.

Auch die nach Kriegsende auftretenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten gaben Anlass zu Unzufriedenheit, namentlich unter den Farmern, die die Überfülle ihrer Produkte nicht absetzen konnten. Die grösste Unruhe herrschte unter den verschuldeten Farmern, die Sicherheiten gegen Hypothekenkündigungen forderten, um der sonst drohenden Schuldhaft zu entgehen. Die Gerichte waren mit Eintreibungsverfahren überlaufen. Den ganzen Sommer des Jahres 1786 hindurch wurden in mehreren Staaten auf Volksversammlungen - und wo immer Menschen zusammenkamen - Forderungen nach Verwaltungsreformen in den Einzelstaaten erhoben. Viele kleine Grundbesitzer, vor Schuldhaft und den Verlust der ererbten Farmen gestellt, griffen zur Gewalt.

In einem Staat - Massachusetts - konnten die Gerichte im Herbst des Jahres 1786 nicht tagen, weil Rotten von Farmern unter Führung des ehemaligen Hauptmanns Daniel Shays sie mit Gewalt daran hinderten, um den Erlass von Vollstreckungsbefehlen gegen Farmer bis nach der nächsten Wahl unmöglich zu machen. Die Regierung des Staates leistete kräftigen Widerstand, und für ein paar Tage sah es so aus, als sollte der Sitz der Regierung in Boston von einer wütenden Menge von Farmern belagert werden. Aber die Rebellen waren meist nur mit Fassdauben und Heugabeln bewaffnet und wurden von der Miliz zurückgeschlagen und in die Hügel gejagt. Erst nach der Niederwerfung des Aufstandes sah die Legislative die Berechtigung der von den kleinen Farmern erhobenen Beschwerden ein und ging daran, sie abzustellen.

Die Staaten waren damals, wie George Washington schrieb, nur noch durch einen „seidenen Faden" zusammengehalten, und das Ansehen des Kongresses war bedenklich gesunken. Meinungsverschiedenheiten zwischen Maryland und Virginia über die Schiffahrt auf dem Potomac führten im Jahre 1786 zur Konferenz von Annapolis, an der Vertreter von fünf Staaten teilnahmen. Einer der Delegierten, Alexander Hamilton, überzeugte seine Kollegen davon, dass der Handel viel zu eng mit anderen Fragen verknüpft sei und dass der Ernst der Situation nach einer Körperschaft verlange, die repräsentativer sei als sie. Auf seinen Vorschlag wurden sämtliche Staaten aufgefordert, Vertreter für die „Vereinigten Staaten" zu bestimmen, um „Einrichtungen zu schaffen, die nach ihrer Meinung erforderlich sind, um die Verfassung der Bundesregierung den Bedürfnissen der Union anzupassen." Der Kontinental-Kongress war zunächst über die Kühnheit dieses Schrittes empört, musste jedoch gute Miene zum bösen Spiel machen, als bekannt wurde, dass Virginia George Washington zu einem seiner Delegierten ausersehen hatte. Im darauf folgenden Herbst und Winter fanden in allen Staaten, mit Ausnahme Rhode Islands, Wahlen statt.

Es war eine Gruppe hervorragender Persönlichkeiten, die sich im Mai 1787 als Bundesversammlung (Federal Convention) in Philadelphia zusammenfand. Die gesetzgebenden Körperschaften der Staaten hatten Politiker entsandt, die reiche Erfahrungen in der Regierung von Kolonien und Einzelstaaten, im Kongress, im Gerichtssaal und auf dem Schlachtfelde gesammelt hatten. Zum Vorsitzenden wurde einstimmig George Washington gewählt, der wegen seiner im Revolutionskrieg bewiesenen militärischen Fähigkeiten und wegen seines lauteren und rechtschaffenen Charakters im ganzen Lande als der angesehenste Mann galt. Der einundachtzigjährige Benjamin Franklin hielt sich weise von der Debatte zurück, aber sein gütiger Humor und seine diplomatische Erfahrung halfen mit, die Gegensätze zwischen den jüngeren Delegierten auszugleichen. Unter den aktiveren Mitgliedern ragten besonders zwei Delegierte aus Pennsylvania hervor: der kluge und unerschrockene Gouverneur Morris, der die Notwendigkeit einer nationalen Regierung deutlich erkannte, und James Wilson, der unermüdlich für den nationalen Gedanken arbeitete. Aus Virginia stammte der jugendliche Staatsmann James Madison, der Politik und Geschichte gründlich studiert hatte und nach den Worten eines Kollegen „von grossem Arbeitseifer und tiefer Hingabe, ... in jeder zur Debatte stehenden Frage der bestunterrichtete Mann" war. Massachusetts hatte Rufus King und Elbridge Gerry entsandt, junge, tüchtige und erfahrene Leute. Einer der Vertreter Connecticuts war der Richter Roger Sherman, ein ehemaliger Schuhmacher; aus New York war der trotz seiner knapp dreissig Jahre bereits berühmte Alexander Hamilton gekommen. Zu den wenigen grossen Männern Kolonialamerikas, die auf dem Konvent fehlten, gehörte Thomas Jefferson, der sich damals gerade im Staatsauftrag nach Frankreich begeben hatte. Dass die Jugend unter den fünfundfünfzig Delegierten vorherrschte, beweist ihr Durchschnittsalter von zweiundvierzig Jahren.

Die Delegierten waren lediglich dazu ermächtigt, Zusätze zu den Konföderationsartikeln zu entwerfen. Aber „in mannhaftem Vertrauen auf ihr Land", wie Madison später schrieb, liessen sie die alten Artikel ganz ausser acht und machten sich daran, eine völlig neue Verfassung auszuarbeiten. Die Delegierten erkannten sehr richtig, dass es vor allem darauf ankam, zwei einander entgegengesetzte Kräfte - die partikularen Machtbefugnisse, die bereits von den dreizehn halbselbständigen Staaten ausgeübt wurden, und die Macht der Zentralregierung - in Übereinstimmung zu bringen. Sie bekannten sich zu dem Grundsatz, dass die Funktionen und Befugnisse der Nationalregierung neu, allgemein und umfassend sein und deshalb sorgfältig niedergelegt und definiert werden müssten, während alle nicht aufgezählten Funktionen und Befugnisse den Einzelstaaten vorbehalten bleiben sollten. Sie sahen jedoch, dass die nationale Regierung mehr als nur den Schein der Macht brauchte, und einigten sich darauf, sie unter anderem zu ermächtigen, Münzen zu prägen, den Handel zu regeln, Krieg zu erklären und Frieden zu schliessen. Diese Funktionen konnten natürlich nicht ohne einen entsprechenden Regierungsapparat ausgeübt werden.

Die Staatsmänner des achtzehnten Jahrhunderts, die sich in Philadelphia zusammengefunden hatten, glaubten an Montesquieus Theorie vom Gleichgewicht und der Trennung der Gewalten in der Politik. Die koloniale Erfahrung hatte ihnen die Richtigkeit des Grundsatzes bestätigt, John Lockes Schriften, mit denen die meisten der Delegierten vertraut waren, hatten ein übriges getan. Unter solchen Einflüssen kam die Versammlung überein, drei verschiedene, einander gleichwertige und aufeinander ausgerichtete Regierungsgewalten zu schaffen: die Aufgaben der Legislative, Exekutive und Justiz sollten so abgestimmt und miteinander verzahnt werden, dass sich eine harmonische Zusammenarbeit ergab. Das Gleichgewicht unter den drei Gewalten sollte jedoch so gewahrt bleiben, dass eine von ihnen niemals die anderen unterdrücken konnte. Dass die Legislative, nach dem Vorbild der gesetzgebenden Körperschaften der Kolonien und des britischen Parlaments, ans zwei Kammern bestehen musste, war für die Delegierten ebenfalls selbstverständlich.

Über die grossen, allgemeinen Gesichtspunkte fand sich die Versammlung in völligem Einvernehmen. Erst als die Mittel und Wege zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele diskutiert wurden, ergaben sich scharfe Meinungsverschiedenheiten. Delegierte der kleinen Staaten, beispielsweise New Jerseys, wandten sich gegen Änderungen, die zu einer Verminderung ihres Einflusses in der Bundesregierung geführt hätten, so dagegen, dass die Anzahl der Abgeordneten nach der Kopfzahl eines Staates festgesetzt würde, anstatt jedem Staat gleiche Rechte zu geben, wie es die Konföderationsartikel von 1781 vorgesehen hatten. Die Delegierten der grossen Staaten hingegen argumentierten nachdrücklich für proportionale Vertretung. Die Debatte über diese Streitfrage drohte sich endlos in die Länge zu ziehen, bis der Abgeordnete des Staates Connecticut schliesslich den klugen Vorschlag einbrachte, die Staaten in der einen Kammer des Kongresses im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl und in der anderen je in gleicher Stärke vertreten sein zu lassen.

Damit schwand zunächst einmal der Gegensatz zwischen kleinen und grossen Staaten. Fast alle späteren Fragen, die beraten wurden, brachten jedoch neue Gruppierungen zustande, die nur durch neue Kompromisse beseitigt werden konnten. Einige Delegierte sprachen sich dagegen aus, dass irgendein Teil der Regierung unmittelbar vom Volke gewählt würde, andere wiederum wollten dem Volk einen möglichst grossen Einfluss sichern. Manche wünschten, den sich im Westen zu Staaten entwickelnden Gebieten den Eintritt in den Bund zu verwehren; andere setzten sich für das in der Northwest Ordinance des Jahres 1787 verankerte Prinzip der Gleichberechtigung ein. Über einige wirtschaftliche Fragen - Papiergeld, Währungsgesetze und Gesetze zur Beschränkung der aus Verträgen erwachsenden Verpflichtungen - einigte man sich verhältnismässig schnell. Die anderen wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Regionen waren jedoch kaum so leicht auszugleichen; Machtbefugnisse und Amtszeit des Präsidenten waren ebenso umstritten wie das Verfahren, ihn zu wählen; die Frage der Amtszeit der Richter und der Art der einzusetzenden Gerichtshöfe harrte der Erledigung.

Einen ganzen Sommer hindurch arbeiteten die Delegierten in der Hitze Philadelphias gewissenhaft und entschlossen an der Lösung all dieser Probleme. Das Ergebnis war ein Verfassungsentwurf, der in gedrängter Form das komplizierteste Regierungssystem umriss, das bis dahin von Menschen erdacht worden war, ein System, das der Regierung die höchste Macht gab und doch zugleich den Bereich ihrer Gültigkeit genau festlegte und damit begrenzte. Um es mit den Worten des Zehnten Verfassungszusatzes vom Jahre 1791 auszudrücken: „Diejenigen Rechte, die durch diese Verfassung nicht den Vereinigten Staaten übertragen oder den Einzelstaaten entzogen werden, bleiben den Einzelstaaten oder dem Volke vorbehalten." Bundesgesetze sind für die Staaten nur bindend, „sofern sie in Übereinstimmung mit der Verfassung erlassen werden." Die einzelnen Staaten üben innerhalb ihrer Grenzen alle die gleiche Souveränität aus; sie beruht in keiner Weise auf minderem, abgeleitetem Recht: die Bundesregierung und die Regierungen der Einzelstaaten erwachsen gleich unmittelbar aus der Volkssouveränität. Im Laufe der Jahre hat sich zwar die Macht des Bundes implicite, durch Verfassungszusätze, durch die Auslegung der Gerichte und unter dem Einfluss nationaler Krisen erheblich erweitert, aber die Macht der Einzelstaaten hat in ähnlicher Weise zugenommen. Selbst im zwanzigsten Jahrhundert kommt der amerikanische Bürger weit häufiger mit der Regierung seines Staates als mit der Bundesregierung in Berührung, denn in die Kompetenz der Einzelstaaten - nicht kraft der Bundesverfassung, sondern auf Grund ihrer eigenen Oberhoheit - fallen die Stadt- und Gemeindeverwaltungen, das Polizeiwesen, die Industrie- und Arbeitsgesetzgebung, die Führung des Handelsregisters, die Weiterentwicklung und Anwendung von Zivil- und Strafrecht, das Erziehungs- und Gesundheitswesen und Sicherheits- und Wohlfahrtseinrichtungen.

Die Versammlung übertrug der Bundesregierung die volle Macht, direkte Steuern zu erheben, Anleihen aufzunehmen und einheitliche Zölle, Abgaben und indirekte Steuern zu fordern. Sie erhielt das Recht, Münzen zu prägen, Masse und Gewichte festzusetzen, Patente und Urheberrechte zu gewähren und Postämter und Postlinien einzurichten. Der Bund wurde ermächtigt, Armee- und Flotteneinheiten aufzustellen und zu unterhalten und den Handel zwischen den Einzelstaaten zu regeln. Indianerfragen, Aussenpolitik und Kriegführung blieben ihm vorbehalten. Die Bundesregierung konnte Bestimmungen für die Einbürgerung von Ausländern erlassen und, da sie die Kontrolle über die öffentlichen Ländereien ausübte, neue Staaten in völliger Gleichberechtigung mit den übrigen zulassen. Da die Bundesregierung ermächtigt wurde, diese ihre Befugnisse auf dem Wege der Gesetzgebung in die Praxis umzusetzen, blieb sie elastisch und konnte die Bedürfnisse selbst späterer Generationen und eines erheblich angewachsenen Gemeinwesens befriedigen.

Der Aufbau dieses Regierungsapparates ist auf der einen Seite in starkem Masse von der ungeschriebenen Verfassung des britischen Empires beeinflusst, andererseits aber enthält die Verfassung kaum eine Einrichtung, die nicht auf die Verfassung des einen oder anderen der dreizehn Gründerstaaten oder auf die koloniale Praxis zurückzuführen ist. Das Prinzip der Gewaltenteilung, das in den meisten Kolonien angewandt worden war, hatte sich bewährt und war für gut befunden worden. Aus diesem Grunde schuf die Versammlung in Philadelphia ein Regierungssystem mit der Dreiteilung in einander überwachende gesetzgebende, ausübende und richterliche Gewalten. Vom Kongress gebilligte Gesetzesvorlagen können nur durch die Billigung des Präsidenten Gesetzeskraft erlangen. Der Präsident kann sein Veto einlegen, der Kongress jedoch kann ein solches Veto des Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit überstimmen und so einer Vorlage auch gegen den Willen des Präsidenten Gesetzeskraft verleihen. Der Präsident braucht für Berufungen zu höheren Posten in der Verwaltung und für alle von ihm geschlossenen Verträge die Zustimmung des Senats. Der Präsident selbst kann vom Kongress zur Verantwortung gezogen und abgesetzt werden. Der richterlichen Gewalt unterstehen alle im Bereich des bürgerlichen Rechts und des Verfassungsrechts liegenden Fragen, d.h. die Gerichtshöfe fällen über das Staatsgrundgesetz sowohl wie über vom Kongress mit Billigung des Präsidenten geschaffenes Recht Entscheidungen. Die vom Präsidenten berufenen und vom Senat bestätigten Organe der Justiz können jedoch ihrerseits vom Kongress zur Rechenschaft gezogen werden.

Da die Versammlung in Philadelphia voraussah, dass später Änderungen oder Zusätze in der Verfassung notwendig werden könnten, fügte sie einen Artikel bei, der das für Verfassungsänderungen notwendige Verfahren regelte. Es sollte jedoch verhütet werden, dass die Verfassung leichtfertig abgeändert würde; deshalb bestimmte Artikel V der Verfassung, dass Verfassungszusätze nur von je zwei Dritteln beider Kammern des Kongresses oder von einer Zweidrittelmehrheit der zu einer Nationalversammlung zusammengetretenen Staaten vorgeschlagen werden dürfen. Vorschläge dieser Art können auf zwei Wegen Gesetzeskraft erlangen: durch Ratifizierung durch die Volksvertretungen von dreiviertel der Staaten oder durch Volksbeschluss in dreiviertel der Staaten. Es bleibt dem Kongress vorbehalten, eines dieser beiden Verfahren zu wählen. (Bis heute sind nach dem in Artikel V vorgeschlagenen Verfahren einundzwanzig Verfassungszusätze angenommen worden, eine relativ geringe Anzahl.)

Die wichtigste Frage, der sich die Versammlung in Philadelphia gegenübersah, war die nach den Machtmitteln, die der neuen Regierung zum Vollzug der ihr übertragenen Rechte zur Verfügung stehen sollten. Die alten Articles of Confederation hatten der Regierung der Konföderation theoretisch weitgehende Befugnisse eingeräumt. Sie wären keineswegs ausreichend gewesen, selbst wenn die Einzelstaaten sie nicht ignoriert hätten; in Wahrheit war die Regierung ohne wirkliche Macht gewesen. Wie konnte die neue Regierung vor ähnlicher Ohnmacht bewahrt werden? Zunächst sahen die meisten Delegierten in Gewaltanwendung die einzig mögliche Antwort. Gewalt aber hätte zur Zerstörung des bündischen Zusammenhangs der Union geführt. Eine Reihe fruchtbarer Debatten führte am Ende zu dem Entschluss, die Kompetenz der Regierung nicht auf die Einzelstaaten als Körperschaften, sondern nur auf die Einwohner der Staaten auszudehnen. Die Gesetze sollten für jeden einzelnen Bewohner des ganzen Landes gelten; alle sollten ihnen ohne die vermittelnde Instanz der Staaten unterstehen. Die Versammlung nahm zu diesem Zweck eine kurze, aber höchst bedeutsame Klausel an, die einen tragenden Pfeiler im Verfassungsgebäude bilden sollte:

„Der Kongress hat das Recht, ... alle Gesetze zu erlassen, die zur Ausübung der ... durch diese Verfassung der Regierung der Vereinigten Staaten ... verliehenen Rechte notwendig und geeignet sind." (Artikel I, Sektion VIII)

„Diese Verfassung, die auf ihrer Grundlage erlassenen Gesetze der Vereinigten Staaten und alle von den Vereinigten Staaten in Ausübung ihrer Staatshoheit abgeschlossenen oder künftighin abzuschliessenden Verträge sind oberstes Gesetz des Landes. Die Richter jedes Einzelstaates sind auch dann daran gebunden, wenn die Verfassung oder die Gesetze eines Einzelstaates in irgendeinem Punkt in Widerspruch dazu stehen sollte." (Artikel VI)

Auf diese Weise war dafür gesorgt, dass den Gesetzen der Vereinigten Staaten vor Gerichten des Bundes durch vom Bund bestellte Richter und Beamte Geltung verschafft werden konnte. Im weiteren waren auch die Richter und Gerichtsbeamten an den einzelstaatlichen Gerichten dazu angehalten, das Bundesrecht anzuwenden.

Die Beratung der Verfassung hatte vier Monate in Anspruch genommen; am 17. September 1787 wurde sie „unter einstimmiger Billigung aller anwesenden Staaten" unterzeichnet. Die Delegierten waren von der Feierlichkeit der Stunde sichtlich beeindruckt; George Washington sass in tiefem Nachdenken auf dem Präsidentenstuhl. Allein Benjamin Franklin, mit charakteristischem Humor, fand ein Wort des Scherzes. Künstler hätten schon immer Schwierigkeiten gehabt, meinte er, Sonnenaufgänge deutlich von -untergängen verschieden darzustellen, und fuhr fort, auf die goldbronzierte, halb hinter einem imaginären Horizont verschwindende Sonnenscheibe auf der Rücklehne von Washingtons Präsidentenstuhl hindeutend: „Ich habe immer wieder im Verlauf der Sitzungen, zwischen Hoffnung und Furcht über ihren Ausgang hin- und hergerissen, auf die Lehne des Präsidentenstuhls geschaut, ohne sagen zu können, ob die Sonne auf- oder unterging. Jetzt endlich habe ich die beglückende Gewissheit, dass es eine aufgehende und keine untergehende Sonne ist."

So war die Versammlung zu Ende gegangen; die Mitglieder „vertagten sich in den Ratskeller, wo sie zusammen speisten und herzlichen Abschied voneinander nahmen." Noch aber blieb ein entscheidender Abschnitt im Kampf um vollkommenere Einheit zu durchmessen: die Zustimmung der gewählten Volksvertretungen der Einzelstaaten musste eingeholt werden, bevor das Dokument rechtskräftig werden konnte.

Nach dem Willen der verfassunggebenden Versammlung sollte die Verfassung in Kraft treten, sobald sie von neun der dreizehn Staaten gebilligt worden war. Gegen Ende des Jahres 1787 hatten sie drei Staaten ratifiziert. Aber wie stand es mit den sechs anderen? Viele einfache Leute glaubten, dass ihnen von dem Dokument Gefahr drohte, denn würde die neue starke Zentralregierung sie nicht tyrannisieren, mit schweren Steuern belasten und in Kriege verwickeln? Über der Erörterung dieser Zweifel entstanden zwei Parteien - die „Föderalisten" und die „Antiföderalisten" - die einen für eine starke Zentralregierung, die anderen für einen losen Zusammenschluss selbständiger Staaten eintretend. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen in der Presse und in den Volksvertretungen und -versammlungen der Staaten, denn beide Seiten stürzten sich mit Hitze und Leidenschaft in die Debatte. Der Standpunkt der „Föderalisten" kam am klarsten in den Federalist Papers zum Ausdruck, in denen Hamilton, Madison und John Jay in klassisch gewordenen politischen Essays für die neue Verfassung eintraten.

Unter dem Druck der Unzufriedenheit der Farmer von Massachusetts, wo die Auseinandersetzungen besonders lebhaft geführt worden waren, wurde der Verfassung in Form von Verfassungszusätzen ein Katalog von Grundrechten (Bill of Rights) eingefügt. Die anderen Staaten erkannten die Wichtigkeit solcher Verfassungszusätze; so erhielt die Bundesverfassung Grundrechte, wie sie zuvor nur in den einzelstaatlichen Verfassungen aufgezählt worden waren, und zwar in Form der ersten zehn Zusätze zu dem ursprünglichen Verfassungstext. Diese Zusätze sichern den Bürgern der Vereinigten Staaten unter anderem Religions-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit zu, sie gewähren ein Volksheer statt einer Berufsarmee, das Recht auf Verfahren vor Geschworenengerichten, auf schleuniges Gerichtsverfahren nach den Gesetzen des Landes, und sie verbieten die Ausstellung unbegründeter Durchsuchungs- und Haftbefehle.

Nach Annahme der Bill of Rights erklärten sich auch die bis dahin noch unentschlossenen Staaten mit der Verfassung einverstanden. Am 21. Juni 1788 war sie endgültig angenommen. Der Kongress des alten Staatenbundes organisierte noch die erste Präsidentschaftswahl, setzte den Anfangstermin für die neue Regierung auf den 4. März 1789 fest und löste sich in aller Stille auf.

Dass als Präsident nur ein Mann in Betracht kam, war allen klar; die Wahl fiel einstimmig auf George Washington. Am 30. April 1789 leistete er den Eid, mit dem er sich feierlich verpflichtete, das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten in Treue zu verwalten und nach bestem Wissen und Gewissen „die Verfassung der Vereinigten Staaten zu bewahren, zu schützen und zu verteidigen."

Mit jugendlicher Unbeschwertheit machte die Republik nun ihre ersten Schritte in die Zukunft. Die durch den Krieg verursachten Wirtschaftsschwierigkeiten gingen ihrer Lösung entgegen, die Grenzen wurden weiter hinausgeschoben und gute Farmen waren überall für wenig Geld zu haben. Trotz der starken Einwanderung aus Europa war ein Mangel an Arbeitskräften spürbar. Die fruchtbaren Täler im Norden des Staates New York, in Pennsylvania und Virginia entwickelten sich bald zu grossen Weizenanbaugebieten, und obwohl viele Waren noch in Heimarbeit hergestellt wurden, blühte auch die Industrie weiter auf. In Massachusetts und in Rhode Island entstanden die Anfänge einer bedeutenden Textilindustrie, Connecticut brachte Zinnwaren und Uhren auf den Markt, New York, New Jersey und Pennsylvania erzeugten Papier-, Glas- und Eisen-waren. Der Seeverkehr hatte an Umfang gewonnen, und Amerika stand allein England an Seegeltung nach. Schon vor 1790 brachten amerikanische Schiffe Felle nach China und luden als Rückfracht Tee, Gewürze und Seidenstoffe. In der Hauptsache aber drängte Amerika nach dem Westen. Neuengländer und Pennsylvanier zogen nach Ohio, Farmer aus Virginia, Nord- und Süd-Carolina gingen nach Kentucky und Tennessee. Planwagen, mit weissem Segeltuch bespannt, wanden sich in langen Karawanen die mählichen Hänge der Alleghanies empor. Vortrupps von Farmern, von lederbekleideten Jägern begleitet, brachten Hausrat, Saatgut, einfaches Ackergerät und Haustiere nach Kentucky. Auf mancher unwirtlichen Lichtung errichteten die Farmer der frontier mit Hilfe ihrer Nachbarn Blockhütten, die sie mit Lehm abdichteten und mit Eichenknüppeln deckten. Mit jedem Jahr trieben mehr Flösse und Boote, mit Getreide, Pökelfleisch und Pottasche beladen, den Mississippi nach New Orleans hinunter. Mit jedem Jahr nahmen die westlichen Städte an Bedeutung zu. Trotz der Raubtiere, Krankheiten, Mühen und Gefahren der Wildnis zog es die Siedler auf tausend Wegen unwiderstehlich westwärts. Das Losungswort einer früheren Zeit: „... Nach Westen hin das Reich nimmt seinen Kurs" hatte seine Gültigkeit nicht verloren.

So standen die Dinge im Lande, als Washington die Präsidentschaft übernahm. Die neue Verfassung, einstweilen nur ein Grundriss des künftigen Gebäudes, besass weder eine feste Tradition noch sicheren Rückhalt in einer ausgeprägten öffentlichen Meinung. Die beiden Parteien, die sich über dem Streit um ihre Ratifizierung gebildet hatten, standen sich nach wie vor feindlich gegenüber. Die „Föderalisten" traten für eine starke Zentralregierung, für die Förderung des Geschäftslebens und ganz allgemein für die Interessen von Handel und Industrie ein, während die „Antiföderalisten" die Rechte der Einzelstaaten verfochten und Förderung der Landwirtschaft verlangten. Die neue Regierung musste sich erst ihre eigenen Organe schaffen, Steuern kamen nicht ein, und bevor das Rechtswesen geordnet war, konnte man auch den Gesetzen keine Geltung verschaffen. Das Heer war klein, und eine Marine gab es nicht mehr.

In dieser Situation erwies George Washington dem amerikanischen Volk durch seine kluge Führung unvergleichliche Dienste. Die gleichen Eigenschaften, die ihn zum Ersten Soldaten der Revolution gemacht hatten, machten ihn jetzt zum Ersten Staatsmann des neugeformten Gemeinwesens. Er besass die Gabe, auf weite Sicht zu planen und zäh und geduldig an der Ausführung seiner Pläne zu arbeiten. Er flösste Respekt und Vertrauen ein, seine Stärke lag eher in seiner Geradlinigkeit und in seiner Charakterstärke als in Gewandtheit und Anpassungsfähigkeit. In seinem Wesen vereinten sich grosse Würde und Zurückhaltung mit Schüchternheit, Bescheidenheit und stoischer Selbstbeherrschung.

Es war keine geringe Aufgabe, eine Verwaltung von Grund auf neu einzurichten. Der Kongress schuf sehr bald ein „Staatsministerium" (das spätere Aussenministerium) und ein Finanzministerium; zum Staatsminister berief Washington Thomas Jefferson und zum Finanzminister seinen Adjutanten aus dem Revolutionskrieg, Alexander Hamilton. Der Kongress ordnete ferner das Bundesgerichtswesen und schuf ein Oberstes Bundesgericht aus fünf Richtern unter einem Obersten Bundesrichter, drei Bundesgerichte zweiter Instanz sowie dreizehn Bezirksgerichte. Es folgte die Ernennung eines Kriegsministers und eines Bundesstaatsanwalts noch in der ersten Amtsperiode des Präsidenten. Washington war gewohnt, Entscheidungen erst nach gründlicher Beratung mit den Männern, auf deren Urteil er vertraute, zu treffen; dies förderte die Bildung des amerikanischen Kabinetts, das sich aus den Leitern sämtlicher vom Kongress geschaffenen Ministerien zusammensetzte, jedoch dauernd dem Präsidenten untergeordnet blieb. Seine Existenz wurde erst im Jahre 1907 durch Gesetz offiziell anerkannt.

Die Amerikanische Revolution hatte in Washington und Franklin zwei bedeutenden Persönlichkeiten zu Weltruf verholfen; die junge Republik hingegen brachte die glänzenden Gaben Hamiltons und Jeffersons, zweier Politiker der jüngeren Generation, weit über ihre Heimat hinaus zu Ruhm und Ehre. Ihr Anspruch auf geschichtliche Grösse ruht nicht in ihren persönlichen Qualitäten, wie hervorragend sie auch immer waren, sondern darauf, dass in ihnen zwei mächtige Kräfte persönlichen Ausdruck gewannen, deren Gegensatz das amerikanische Staatsleben bestimmt: Hamilton strebte nach engerem Zusammenschluss der Staaten unter einer verstärkten Bundesregierung, Jefferson dagegen trat für freiheitlichere und umfassendere Demokratie ein.

Hamiltons öffentliche Laufbahn war auf Tatkraft, Ordnungsliebe und Organisationstalent aufgebaut. Das Erlebnis der Schwäche und Unfähigkeit, wie sie zwischen 1775 und 1789 zutage getreten waren, hatte über seinen Entschluss, in den Staatsdienst zu treten, entschieden. Er plante kühn und dachte klar, wo andere nur mit vorsichtigen und vagen Allgemeinheiten umzugehen wagten. Als ihn das Repräsentantenhaus aufforderte, einen Plan zur „angemessenen Stützung des Staatskredits" auszuarbeiten, blieb Hamilton nicht bei nur volkswirtschaftlichen Grundsätzen stehen, sondern ging der Frage nach dem Wesen einer erfolgreichen Regierung auf den Grund. Amerika benötigte Kredite für den Ausbau von Industrie und Handel und zur Erfüllung seiner Regierungsaufgaben. Es brauchte das ganze Vertrauen und die volle Unterstützung des Volkes. Viele Amerikaner wollten die alte Staatsschuld nicht anerkennen oder wenigstens nur zum Teil bezahlen. Hamilton dagegen bestand auf Rückzahlung der Bundesschuld in voller Höhe und entwickelte den Plan, die unbezahlten Schulden, die den einzelnen Staaten aus ihrer Beteiligung am Unabhängigkeitskriege entstanden waren, durch die Bundesregierung übernehmen zu lassen. Er schlug ferner vor, eine Amerikanische Staatsbank zu gründen und sie zu ermächtigen, in verschiedenen Teilen des Landes Zweigniederlassungen zu errichten. Er drang auf ein Bundesmünzamt und setzte sich für Schutzzölle ein, um die einheimische Industrie zu entwickeln. Diese Massnahmen halfen in kurzer Zeit, das Vertrauen in die Kreditfähigkeit der Regierung wiederherzustellen und ihr die nötigen Einkünfte zu verschaffen; sie gaben Handel und Industrie neuen Auftrieb und brachten der Regierung die zuverlässige Unterstützung des Unternehmertums, das sich von nun an jedem Versuch, den Bundeszusammenhang zu schwächen, energisch widersetzte. Thomas Jefferson war, im Gegensatz zu Hamilton, eher ein Mann der Theorie als der Tat. Hamiltons Stärke lag im Handeln, Jefferson dagegen hatte als Denker und Philosoph nicht seinesgleichen unter den politischen Schriftstellern seiner Zeit. Seine politischen Überzeugungen wichen oft von denen Hamiltons ab. Obwohl er als Gesandter in Frankreich erkannt hatte, dass eine starke Zentralregierung der Aussenpolitik einer Nation sehr zugute kommen kann, zog er doch für die Innenpolitik eine weniger starke Regierung vor, um der Gefahr zu entgehen, dass das Volk versklavt würde. Trotz seiner aristokratischen Herkunft neigte Jefferson der Demokratie zu und war vom Wert der Gleichheit aller Menschen überzeugt; er kämpfte unermüdlich für die Freiheit - Freiheit von der britischen Herrschaft, von der Bevormundung der Kirchen, von der Macht der adligen Grossgrundbesitzer und von Ungleichheiten im Besitz.

Hamiltons letztes Ziel war es, Amerika eine bessere Verwaltung zu geben; Jefferson glaubte an grössere individuelle Freiheit, denn „jeder Mensch und jede menschliche Gemeinschaft auf Erden hat das Recht, sich selbst zu regieren." Hamilton fürchtete die Anarchie, sein Geist blieb von der Idee der Ordnung beherrscht; Jefferson fürchtete die Tyrannei und kämpfte für die Freiheit. Amerika aber brauchte den Einfluss, der von beiden ausging, eine stärkere Bundesregierung und freiheitsstolze Menschen. Es war ein Glück für das Land, dass es diese beiden Männer besass und dass es gelang, ihre Ideen im Laufe der Jahre zu verschmelzen und miteinander zu versöhnen.

Die Unterschiede zwischen ihren Auffassungen kamen bald nach Jeffersons Berufung zum Staatsminister klar zum Ausdruck und führten zu einem hochbedeutsamen neuen Verständnis der Verfassung. Als Hamilton nämlich die Gründung einer Nationalbank vorschlug, erhob Jefferson im Namen all derer Einspruch, die den Einzelstaaten Rechte gegenüber dem Bund reservieren wollten und die Macht grosser öffentlicher Körperschaften fürchteten. Jefferson erklärte, dass die Verfassung ausdrücklich alle Befugnisse aufzähle, die der Bundesregierung zuständen, und dass sie alle anderen, nicht aufgezählten Befugnisse den Einzelstaaten vorbehalte; die Bundesregierung sei mit keinem Wort ermächtigt worden, eine Bank zu gründen. Hamilton hielt dieser Auffassung entgegen, dass unmöglich sämtliche Befugnisse der Bundesregierung einzeln hätten aufgezählt werden können, da sich die Verfassung sonst in uferlosen Details verloren hätte. Eine grosse Zahl von Befugnissen sei in den allgemeinen Klauseln stillschweigend miteinbegriffen; Artikel I, Abschnitt VIII, ermächtigte den Kongress ausdrücklich zur Ausübung der von der Verfassung gewährten Rechte, „alle Gesetze zu erlassen, die ... notwendig und geeignet sind." Die Verfassung gäbe der Bundesregierung das Recht, Steuern zu erheben und einzutreiben, die Staatsschuld abzutragen und Anleihen aufzunehmen, und da eine Bundesbank die Ausübung all dieser Funktionen wesentlich erleichtern würde, sei der Kongress kraft der ihm „stillschweigend übertragenen Befugnisse" berechtigt, eine solche Bank zu gründen. Washington und der Kongress nahmen Hamiltons Gesetzesvorlage an und schufen damit einen Präzedenzfall.

Über dieser Konzentration auf die Aufgaben im Innern (Stärkung des Wirtschaftslebens und Sicherung des bundesstaatlichen Zusammenhangs) durfte die junge Nation jedoch die politischen Ereignisse im Ausland nicht ausser acht lassen. Washingtons Aussenpolitik war auf die Aufrechterhaltung des Friedens gerichtet, um Zeit zu gewinnen, die Wunden des Krieges im Lande zu heilen und den Aufbau des Bundesstaates zu vollenden. Die Vorgänge in Europa gefährdeten dieses Ziel. Viele Amerikaner sympathisierten zutiefst mit der Französischen Revolution und verfolgten ihre Entwicklung mit ausserordentlichem Interesse; als jedoch im April 1793 die Nachricht von der Kriegserklärung Frankreichs an Grossbritannien und Spanien und von der Ernennung „Citoyen Genets" zum Gesandten der Französischen Republik in den Vereinigten Staaten eintraf, wurde der europäische Konflikt Gegenstand scharfer innenpolitischer Auseinandersetzungen in Amerika.

Amerika, formell noch immer mit Frankreich verbündet, hätte durch Eintritt in den europäischen Krieg Gelegenheit gefunden, seine Dankesschuld an Frankreich abzutragen und dem alten Groll gegen England Luft zu machen. Aber obwohl die amerikanischen Behörden den Franzosen ausnahmslos wohlwollten, war es doch geboten, Amerika aus dem Kriege herauszuhalten. Um dem Ausdruck zu geben, proklamierte George Washington die Neutralität der Vereinigten Staaten den kriegführenden Mächten gegenüber, und Genet wurde bei seiner Ankunft mit kühler Zurückhaltung empfangen. Der Gesandte war über diese Behandlung verärgert und versuchte, eine Anordnung zu umgehen, die amerikanische Häfen für französische Kaperschiffe schloss. Die Bundesregierung verlangte daraufhin die Abberufung Genets, und die französische Regierung gab ihrem Ersuchen nach.

In diesen Jahren, zwischen 1793 und 1795, bildeten sich die beiden bleibenden Gegensätze in der öffentlichen Meinung Amerikas heraus. Dem einen Teil des Volkes erschien die Französische Revolution als unmissverständliche Auseinandersetzung zwischen dem monarchischen und dem republikanischen Prinzip, zwischen Unterdrückung und Freiheit, Selbstherrlichkeit und Volksherrschaft; der andere betrachtete sie als Erneuerung des alten Kampfes zwischen Anarchie und Ordnung, Gottlosigkeit und Religion, Armut und Besitz. Die erste Gruppe schloss sich in der „Republikanischen Partei" zusammen, aus der die heutige Demokratische Partei hervorgegangen ist, die zweite in der Partei der „Föderalisten", von der die heutigen Republikaner abstammen.

Der Zwischenfall mit Genet hatte den Eifer für die Sache Frankreichs etwas erkalten lassen. Die Beziehungen zu England waren jedoch auch keineswegs herzlich. Britische Truppen hielten noch Forts im Westen des Kontinents besetzt, amerikanisches Eigentum, das britische Soldaten während des Unabhängigkeitskrieges mitgeschleppt hatten, war nicht zurückerstattet oder bezahlt worden, und die britische Kriegsmarine versetzte dem amerikanischen Handel einen schweren Schlag nach dem anderen. Um diese Angelegenheiten ins reine zu bringen, entsandte Washington den erfahrenen Diplomaten und Obersten Bundesrichter John Jay als Sonderbotschafter nach London. Es gelang seinem Takt, mit den Engländern einen Vertrag zu schliessen, der Amerika den Rückzug der britischen Truppen aus den Forts des Westens und einige unbedeutende Zugeständnisse auf dem Gebiete des Handels zusicherte. Von einer Rückerstattung amerikanischen Eigentums, von der widerrechtlichen Beschlagnahme amerikanischer Schiffe oder der zwangsweisen Anheurung amerikanischer Seeleute in die englische Marine war jedoch nicht die Rede.

Das von Jay geschlossene Abkommen wurde im allgemeinen ungünstig aufgenommen; am Ende von Washingtons zweiter Amtsperiode war es jedoch deutlich erkennbar, dass unter seiner Führung auf vielen anderen Gebieten Bedeutendes geleistet worden war: die Verwaltung war aufgebaut und geordnet, die Kreditfähigkeit des Bundes gesichert, der Überseehandel hatte zugenommen, das Nordwest-Territorium war zurückgewonnen und der Frieden bewahrt worden.

George Washington trat im Jahre 1797 zurück und lehnte es mit Entschiedenheit ab, dem Lande für eine dritte Amtsperiode als Regierungsoberhaupt zu dienen. Er war acht Jahre Präsident gewesen. Zu seinem Nachfolger wurde John Adams gewählt, in dessen Charakter sich Fähigkeit und Idealismus mit Strenge und zähem Eigensinn paarten. Schon vor seinem Amtsantritt hatte er sich mit Hamilton, einem der fähigsten Köpfe in Washingtons Verwaltung, entzweit, was ihn in eine doppelt ungünstige Lage brachte, denn nicht nur seine eigene Partei, die geschlossen hinter ihm hätte stehen sollen, sondern auch das Kabinett an seiner Seite waren gespalten. Zu allem Unglück stiegen neue Wetterwolken am internationalen Horizont herauf, denn Frankreich, über den von Jay mit England geschlossenen Vertrag ungehalten, wies den von Adams ernannten Gesandten zurück. Drei anderen vom Präsidenten entsandten Geschäftsträgern wurde in Frankreich keine bessere Behandlung zuteil. Das trieb die Empörung in Amerika auf den Siedepunkt: Truppen wurden ausgehoben, die Flotte wurde verstärkt, es kam zu Seegefechten, in denen die Amerikaner ausnahmslos die Oberhand behielten; 1798 schien der Krieg unvermeidlich. In diesem kritischen Augenblick wich Adams von dem von Hamilton vorgeschlagenen Kurs ab, der auf Krieg hinzielte, und schickte einen neuen Gesandten nach Frankreich. Napoleon, der gerade die Macht übernommen hatte, empfing ihn herzlich; die Gefahr eines bewaffneten Konflikts war beseitigt.

Da jedoch die Innenpolitik des neuen Präsidenten wenig Anklang beim amerikanischen Volke gefunden hatte, bereitete sich um das Jahr 1800 ein Umschwung in den Vereinigten Staaten vor. Die Föderalisten hatten unter Washington und Adams eine erfolgreiche Verwaltung und eine starke Regierung geschaffen; sie hatten aber nicht erkannt, dass eine amerikanische Regierung in erster Linie nach dem Willen des Volkes handeln muss, und eine Politik getrieben, die ihnen grosse Teile des Volkes entfremdete. Unzählige kleine Farmer, Arbeiter und kleine Geschäftsleute stellten sich hinter Jefferson, den geborenen Volkstribunen, und wählten ihn im Jahre 1800 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten. „Die Seetüchtigkeit unseres stolzen Schiffes ist aufs gründlichste erprobt worden", schrieb Jefferson einem Freunde. „Wir werden mit ihm den republikanischen Kurs steuern und die vollendete Kunst seiner Erbauer unter Beweis stellen."

Jefferson hatte vor allem an den Idealismus, die Einfachheit, die Jugend und den Optimismus Amerikas appelliert; das hatte seinen steilen Aufstieg bewirkt. Schon die Art, wie er 1801 die Präsidentschaft antrat, liess erkennen, dass die Demokratie an die Macht gekommen war. Nachlässig gekleidet, wie es seine Gewohnheit war, ging Jefferson mit ein paar Freunden von seiner einfachen Pension aus zu Fuss den Hügel zum Kapitol hinauf, betrat den Sitzungsraum des Senats, begrüsste den Vizepräsidenten Burr, seinen Gegenkandidaten aus der Präsidentschaftswahl, mit Handschlag und legte vor John Marshall, dem neu ernannten Obersten Bundesrichter, den Amtseid ab. In seiner Antrittsrede verhiess Jefferson „eine weise und sparsame Regierung", die zwar für Ordnung unter den Bewohnern des Landes sorgen, „ihnen im übrigen aber die Freiheit lassen werde, ihren Geschäften nachzugehen und ihre Lage zu verbessern."

Die blosse Anwesenheit Jeffersons im Weissen Haus stellte eine demokratische Atmosphäre her, denn er bezeugte dem einfachsten Bürger die gleiche Achtung wie dem höchsten Beamten und lehrte seine Untergebenen, sich lediglich als Treuhänder des Volkes zu betrachten. Er förderte die Landwirtschaft und die Ausdehnung nach Westen und setzte sich für eine grosszügige Einbürgerungsgesetzgebung ein, um Amerikas Charakter als Zufluchtsstätte für die Unterdrückten zu erhalten. Bis Ende 1809 war es seinem weitblickenden Finanzminister Albert Gallatin gelungen, die Staatsschuld auf weniger als sechzig Millionen Dollar zu verringern. Der Geist Jeffersons durchdrang die gesamte Nation, ein Staat nach dem anderen machte das Wahlrecht vom Besitz unabhängig und erliess humanere Gesetze für Schuldner und Verbrecher.

Jefferson konnte darüber hinaus durch eine einzige Massnahme das Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten verdoppeln: Spanien hatte lange Zeit alles Land westlich des Mississippi mit Einschluss des nahe der Flussmündung gelegenen Hafens New Orleans beherrscht. Bald nach Jeffersons Amtsantritt jedoch hatte Napoleon die damals sehr schwache spanische Regierung gezwungen, das ausgedehnte Gebiet von Louisiana an Frankreich zurückzugeben. Dieser Handel hatte in Amerika schlimme Ahnungen hervorgerufen, denn der Hafen von New Orleans war für die Verschiffung der Erzeugnisse des Ohio- und des Mississippitales unentbehrlich. Ein riesiges Kolonialreich unmittelbar im Westen der Vereinigten Staaten, wie es Napoleon geplant hatte, versprach, die Handelsrechte und die Sicherheit der im Inneren des Kontinents gelegenen Siedlungen zu bedrohen.

In dieser Situation erklärte Jefferson, dass Amerika sich „mit der britischen Flotte und Nation vermählen müsse", sobald Frankreich von Louisiana Besitz ergreifen werde, und dass mit dem ersten Kanonenschuss, der in einem europäischen Kriege falle, eine angloamerikanische Armee gegen New Orleans marschieren werde. Die Aussicht, in diesem Falle mit Sicherheit gegen ein mit England verbündetes Amerika gemeinsam kämpfen zu müssen, verfehlte ihre Wirkung auf Napoleon nicht. Er sah voraus, dass der wankende Frieden von Amiens bald durch einen weiteren Krieg mit England abgelöst werden würde, und dass dann Louisiana nicht zu halten war. Er beschloss daher, Louisiana an die Vereinigten Staaten zu verkaufen und durch diesen klugen Zug nicht nur sich die amerikanische Freundschaft zu sichern, sondern das Gebiet auch dem Zugriff der Engländer zu entziehen und seine eigene Staatskasse wieder aufzufüllen. Der gesamte riesige Landstrich ging für fünfzehn Millionen Dollar in den Besitz der amerikanischen Republik über. Um den Ankauf zu rechtfertigen, dehnte Jefferson „die Verfassung, bis sie in allen Fugen krachte", denn keine ihrer Klauseln ermächtigte zum Erwerb ausländischer Gebiete; überdies handelte der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses. Auf diese Weise gelangten die Vereinigten Staaten im Jahre 1803 in den Besitz von über zweieinhalb Millionen Quadratkilometer Land einschliesslich des malerischen, vor dunklen Zypressenhainen an einer Mississippischleife gelegenen New Orleans.

Die reichen, sanft gewellten Ebenen, die damit der Nation zufielen, sollten schon achtzig Jahre später zu den bedeutendsten Kornkammern der Erde gehören. Auch das gesamte zentrale Flusssystem Nordamerikas stand nun unter der Herrschaft des Bundes. Bald nach der Einführung des Dampfschiffs durch Robert Fulton (1807) waren die Ströme im Westen von qualmenden Schiffen belebt, die Ansiedler ins Land brachten und als Rückfracht Getreide, Felle, Pökelfleisch und hundert andere Erzeugnisse flussabwärts trugen.

Das Ende seiner ersten Amtsperiode fand Jefferson im Besitz ungeminderter Beliebtheit. Louisiana war offenbar ein grosser Gewinn für das Land, der Wohlstand wuchs, und der Präsident hatte sich grösste Mühe gegeben, es allen recht zu machen. Seine Wiederwahl stand ausser Zweifel, und als er 1805 seine zweite Amtszeit antrat, bot er zum zweiten Mal die gesamte Macht des Bundes auf, um in dem weltweiten Kampf zwischen Grossbritannien und Frankreich Amerikas Neutralität zu bewahren. Beide Parteien hatten Blockaden verhängt und den amerikanischen Handel schwer geschädigt. Die Engländer unterbanden den amerikanischen Handelsverkehr mit Französisch-Westindien und proklamierten die Blockade der gesamten europäischen Küste von Brest bis zur Elbmündung. Die Franzosen ihrerseits ordneten an, jedes amerikanische Schiff zu kapern, das sich von den Briten durchsuchen liess oder britische Häfen berührte. Bald konnte kein amerikanischer Frachter die von Frankreich beherrschten Gebiete anlaufen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von den Briten beschlagnahmt zu werden, oder Waren für England führen, ohne einen Angriff von französischer Seite befürchten zu müssen. Das lähmte den Handel völlig.

Die gegen Grossbritannien gerichtete Stimmung Amerikas erhielt noch durch einen zweiten Streitpunkt zusätzliche Nahrung. Um den Krieg zu gewinnen, hatten die Engländer ihre Flotte so lange verstärkt, bis sie über siebenhundert Kriegsschiffe und rund hundertfünfzigtausend Matrosen und Seesoldaten umfasste. Hinter diesem Wall konnte sich England sicher fühlen, denn er schützte seinen Handel und seine Verbindungslinien mit den Kolonien. Aber die Matrosen wurden so schlecht besoldet, behandelt und ernährt, dass sich niemand freiwillig für den Dienst bei der Marine meldete. Viele desertierten und suchten Zuflucht auf amerikanischen Schiffen, wo der Dienst leichter und die Sicherheit grösser waren. Unter diesen Umständen hielten die Engländer es für unumgänglich nötig, amerikanische Schiffe zu durchsuchen und alle auf ihnen befindlichen britischen Untertanen festzunehmen. In früheren Zeiten, da jeder englischsprechende Matrose mit Gewissheit auch britischer Untertan war, war selten jemand irrtümlich zum Dienst in der britischen Marine gepresst worden. Nun aber war Amerika ein souveräner Staat geworden, und die Lage hatte sich geändert. Man empfand es auf den amerikanischen Schiffen als demütigend, unter den Kanonen eines britischen Kreuzers beidrehen zu müssen, während ein britischer Leutnant und eine Abteilung Matrosen die amerikanische Besatzung antreten liessen und sie durchsuchten. Viele britische Offiziere wurden der Arroganz und Unfairness bezichtigt; sie pressten anständige amerikanische Bürger zu Dutzenden und Hunderten und schliesslich, wie behauptet wurde, sogar zu Tausenden in englische Dienste.

Um Grossbritannien und Frankreich zu einer korrekteren Haltung zu veranlassen, ohne dabei einen Krieg heraufzubeschwören, bestimmte Jefferson den Kongress, ein Embargo-Gesetz zu erlassen, das den Handel mit dem Ausland ganz und gar untersagte. Seine Folgen waren jedoch katastrophal. Zunächst bedeutete es nahezu den Ruin der Schiffahrtsunternehmen und schuf in Neu-England und New York grosse Unzufriedenheit. Dann fühlte sich auch die Landwirtschaft erheblich geschädigt, denn die Preise kamen ins Wanken, als die Farmer des Südens und Westens ihre Getreide-, Fleisch- und Tabaküberschüsse nicht mehr in Übersee absetzen konnten. In einem einzigen Jahr sank der amerikanische Export auf ein Fünftel des früheren Umfangs herab. Überdies erfüllte sich die Hoffnung nicht, dass die Handelssperre und damit der Hunger Grossbritannien zu einer Änderung seiner Politik bewegen könnte. Die wachsende Unzufriedenheit in Amerika veranlasste Jefferson zu einer Lockerung seiner Massnahme. An die Stelle des Embargo-Gesetzes trat nun ein Gesetz, das den Interessen der Schiffahrt entgegenkam und den Handel mit allen Ländern ausser Grossbritannien und Frankreich und deren Besitzungen gestattete. Das Gesetz ebnete gleichzeitig den Weg für Verhandlungen, denn es ermächtigte den Präsidenten, die darin enthaltenen Bestimmungen gegen England oder Frankreich aufzuheben, sobald eines der Länder die Einschränkung des amerikanischen Handels aufgeben würde. Im Jahre 1810 gab Napoleon offiziell das Ende seiner Massnahmen bekannt, liess jedoch in Wirklichkeit alles beim alten. Aber in den Vereinigten Staaten glaubte man seinem Wort, und das Handelsverbot blieb fortan auf Grossbritannien beschränkt.

Die zweite Amtsperiode Jeffersons ging zu Ende, und 1809 trat James Madison seine Nachfolge an. Die Beziehungen zu England verschlechterten sich zusehends, und beide Länder trieben einem Kriege entgegen. Der neue Präsident unterbreitete dem Kongress einen detaillierten Bericht über 6057 Fälle, in denen die Engländer im Zeitraum von drei Jahren amerikanische Staatsbürger in ihre Marine gepresst hatten. Ausserdem machten die Siedler im Nordwesten die Wühlarbeit britischer Agenten in Kanada für die häufigen Angriffe von Indianern auf ihre Siedlungen verantwortlich. All dies führte im Jahre 1812 schliesslich zur Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an England.

Amerika hatte jedoch unter schweren Zwistigkeiten im Inneren zu leiden. Während Süden und Westen in der Hoffnung auf neues Land und eine Konjunktur des Handels den Krieg begrüssten, lehnte ihn Neu-England mit aller Schärfe ab, verweigerte jede finanzielle Hilfe und trieb sogar ab und zu hochverräterischen Handel mit dem feindlichen Kanada. Im übrigen war die junge amerikanische Republik weder zu Wasser noch zu Lande ausreichend gerüstet, um sich mit den britischen Streitkräften zu messen. Trotz mancher heroischen Leistung auf amerikanischer Seite - namentlich auf dem Meer und auf den Binnenseen - nahm der Krieg für die USA einen ungünstigen Verlauf. Ein Einfall nach Kanada endete mit einer Katastrophe, die englische Marine brachte den Überseehandel fast völlig zum Erliegen, und im Jahre 1814 landeten britische Truppen im Raum der Chesapeakebai, drangen bis nach Washington vor, nahmen die Stadt ein und steckten die öffentlichen Gebäude in Brand.

Trotzdem war auf lange Sicht die Position der Vereinigten Staaten auf dem amerikanischen Kontinent unleugbar stark. Als die amerikanischen Unterhändler 1814 in Gent mit britischen Bevollmächtigten zu Friedensverhandlungen zusammentrafen, hielt eine neue Krise auf dem Wiener Kongress die britische Regierung in Atem, das englische Volk stöhnte unter seiner Steuerlast, und England hatte wenig Aussicht, bei Fortführung des Krieges in Nordamerika einen entscheidenden Sieg zu erringen. Die britische Regierung war daher zum Abschluss eines Friedensvertrages bereit, der am 24. Dezember 1814 unterzeichnet wurde. Er stellte die alten Verhältnisse wieder her und brachte keiner Partei Vorteile oder Nachteile.

Die Ironie des Schicksals wollte es, dass der grösste amerikanische Erfolg des ganzen Krieges - die blutige Abwehr eines britischen Angriffs auf New Orleans durch Andrew Jackson - im Januar 1815 errungen wurde, d.h. nach Unterzeichnung des Friedensvertrages, doch bevor die Kunde davon nach Amerika gedrungen war. Die Nachricht von der siegreichen Schlacht und die Nachricht über den Friedensvertrag erreichten die amerikanische Öffentlichkeit fast zur gleichen Zeit, und die Tatsache, dass die Nation trotz harten Kampfes das Kriegsziel nicht erreicht hatte, ging im Jubel über den bei New Orleans erfochtenen militärischen Triumph unter. Andrew Jackson, der Sieger von New Orleans, verdankte der Schlacht ein solches Ansehen beim Volk, dass es ihm später die Präsidentschaft gewinnen half.

Obwohl nicht nur die amerikanischen Verluste an Menschen und Schiffen, sondern auch die finanziellen Einbussen ausserordentlich hoch waren, sind sich die Historiker doch darüber einig, dass von dem Krieg von 1812 zwei bedeutsame Wirkungen ausgegangen sind: einmal begann mit ihm die volle Entwicklung einer heimischen Industrie, und zum anderen wurden durch ihn nationale Einheit und Patriotismus gestärkt. Unter der Nötigung stehend, Kriegsmaterial zu produzieren, floss das amerikanische Kapital, der gewohnten Anlagemöglichkeiten im Überseehandel beraubt, in die Fabriken des Landes. So hatte ein Krieg, den die Partei Jeffersons geführt hatte, den Grund zu jener Industrie gelegt, die sein politischer Gegner Alexander Hamilton trotz aller Anstrengungen nicht zu schaffen vermocht hatte. Es war eine feine Ironie der Geschichte. Überdies war Neu-England die Hochburg der Partei Hamiltons - der Föderalisten - gewesen und hatte während des Krieges sogar gedroht, aus der Union auszuscheiden. All dies hatte zur Folge, dass Hamiltons Partei jedes Ansehen verlor, bald ganz aus dem politischen Leben verschwand und der nationalistischeren Partei der Republikaner das Feld überliess.

Albert Gallatin, der Finanzminister der Vereinigten Staaten von 1801 bis 1813, hat einmal behauptet, die Amerikaner hätten vor Beginn des Konfliktes dazu geneigt, immer egoistischer zu handeln und lokale Gesichtspunkte in den Vordergrund zu schieben. „Der Krieg", erklärte er, „hat das Nationalgefühl und den nationalen Charakter - Errungenschaften der Revolution, die von Tag zu Tag mehr verlorenzugehen drohten - erneuert und wiederhergestellt. Das Volk fühlt wieder stärker für die gemeinsamen Ziele, es ist stolz auf sie und betrachtet sie als Teil seines politischen Glaubensbekenntnisses. Die Leute sind bessere Amerikaner geworden, sie fühlen und handeln mehr als Nation, und ich hoffe, dass dies den Bestand des Bundes auch in Zukunft sichern wird."